Wie man unsere Großeltern belog – BRD-Mythen der 60er Jahre

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Beim Lesen eines Bändchens mit Georg Büchners „Hessischem Landboten“ stieß ich auf ein Nachwort von Hans Magnus Enzensberger aus dem Jahre 1964, worin er die geläufigen BRD-Mythen wiederkäute, die in den Köpfen der Generation unserer Großeltern verankert sind. Welche Behauptungen erwähnt Enzensberger?

1. Es bestünde „Vollbeschäftigung“.

2. Produktion und Konsum würden stetig steigen.

3. Der Klassenkampf sei zwar nicht beseitigt, aber „verschleiert“.

4. Die Bourgeoisie sei „assimiliert“ worden durch andere Klassen.1

Ich werde die Behauptungen der Reihe nach durchgehen.

1. Wie sah es mit der Situation der Beschäftigten, also Werktätigen, im Jahre 1964 in der BRD aus? Die offizielle Arbeitslosenquote betrug 0,8% mit 169.070 Arbeitslosen2. Allgemein betrug die offizielle Arbeitslosigkeit der BRD in den 60er Jahren das ganze Jahrzehnt über um die 1%. In den 50er Jahren lag sie im Schnitt höher und ab den frühen 70er Jahren stieg sie beträchtlich an. Schaut man sich diese offiziellen Zahlen an, so grenzt es tatsächlich an Vollbeschäftigung. Ein Problem dabei ist, dass die Zahlen mit der heutigen Arbeitslosenquote nicht direkt gleichzusetzen sind, weil die Berechnungsregeln verändert worden sind über die Jahre3. Das geschah alleine zwischen 1986 und 2018 ganze 17 Mal4. Es bildet also bloß eine Art „Arbeitslosigkeit unter damaligen Bedingungen“ ab. Eine Möglichkeit ist, dass Hausfrauen, weil sie sich nicht arbeitslos meldeten und der Mann bis 1958 direkt entscheiden konnte, ob seine Ehefrau arbeiten durfte, oder nicht und bis 1977 auch nur dann, wenn es mit ihren „ehelichen Pflichten“ vereinbar sei5, nicht einberechnet wurden, obwohl sie im arbeitsfähigen Alter waren. Es ist eine Möglichkeit, die vor dem historischen Kontext Sinn ergeben würde. Da mir die genauen Berechnungsprinzipien der damaligen Zeit nicht bekannt sind, kann ich diese Annahme nicht belegen.

Man muss außerdem die damalige Situation der Nachkriegszeit bedenken. Wie nach einer Brandrodung kam erst der völlige Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft 1945 und danach ein Boom. Die Beseitigung der Kriegsschäden benötigte viele Arbeitskräfte und es wurde deshalb in der Zeit viel produziert und gebaut für diesen Zweck. Dennoch war schon damals mit der Krise im Ruhrgebiet Ende der 50er Jahre absehbar, dass es keine krisenlose Entwicklung des Kapitalismus geben kann, jedoch wurde diese Behauptung erst mit der Krise 1967 in der offiziellen Demagogie der BRD aufgegeben, mit dem Rücktritt Ludwig Erhards. Mit „Vollbeschäftigung“ ist übrigens im bürgerlichen Diskurs nicht gemeint, dass jeder einen Job hat. Detlef Scheele, der Chef der Bundesagentur für Arbeit, sagte im Jahre 2018 gegenüber der Hannoverischen Allgemeine: Mit Vollbeschäftigung ist eine Arbeitslosenquote unter drei Prozent gemeint.“6 Es ist also eine Mogelpackung. Es handelt sich bei der „Vollbeschäftigung“ nicht wirklich um Vollbeschäftigung, sondern bloß um eine relativ niedrige Arbeitslosenquote. Auch ein Onlinewirtschaftslexikon spricht davon, dass Vollbeschäftigung eine Arbeitslosenquote von zwei bis vier Prozent bedeuten würde7. Man gesteht offen, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, Vollbeschäftigung zu erreichen, auch wenn die Wirtschaft boomt, sondern, sozusagen, „nur so ungefähr“. Ohne Recht und Pflicht zur Arbeit, wie es in der DDR verwirklicht war8, wie es durch Volkseigentum und Planwirtschaft möglich war, wird Vollbeschäftigung bloß ein demagogisches Versprechen sein, um Wählerstimmen zu fischen.

Auch heute kommt die Debatte um Vollbeschäftigung wieder auf den Tisch der Tagespolitik. So versprach die CDU zum 1. Mai 2018 „Vollbeschäftigung bis 2025“9 ohne ein Konzept zu dessen Erreichung vorzulegen. Der „Spiegel“ kritisierte, dass das ein bloßes Wahlkampfmanöver sei, weil die CDU bisher stets Maßnahmen gegen dieses Ziel getroffen hatte10. Diese Debatte kochte immer wieder auf. Zuletzt in den 90er Jahren. Christa Müller, damals SPD-Mitglied, heute in der Linkspartei, kritisierte damals, dass die Koalitionsregierung von CDU und FDP diese nicht als Ziel haben und der CDU-nahe Meinhard Miegel die Vollbeschäftigung sogar offen als „schädlich“ bezeichnete11. Christa Müller erwähnte außerdem eine „nunmehr 20 Jahre anhaltende Massenarbeitslosigkeit in Westdeutschland“12. Die offiziellen Arbeitslosenzahlen zeigen, dass im Verlaufe der 70er Jahre die Arbeitslosigkeit Richtung 5% tendierte, ab den 80er Jahren sogar Richtung 10%, was bis 2005 (mit der Neuberechnung durch das Hartz-IV-System) anhielt13. Durch den gleichzeitigen Abbau sozialer Errungenschaften sprach Christa Müller von einer „Amerikanisierung“ des Arbeitsmarktes14. Sie erwähnte, dass die deutschen Gewerkschaften ein Recht auf Arbeit forderten und monierte, dass die SPD diese Forderung nicht unterstützte15. Sie meinte, dass Arbeitslosigkeit „politisch nicht gewollt“, aber „zumindest geduldet“ sei16. Außerdem verwies sie darauf, dass die SPD sich nicht in der Lage sehe die „Sozialleistungen merklich zu erweitern“ aufgrund der hohen Staatsverschuldung17. Damit zeigt sich, dass die sozialen Konzessionen in der BRD gegenüber den Werktätigen auf Kredit geschaffen wurden, damit es die nächsten Generationen von Werktätigen abbezahlen, und es war keineswegs die Bourgeoisie, die dafür zahlte. Als Lösung für das Problem der Massenarbeitslosigkeit schlug Christa Müller eine Verkürzung der Arbeitszeit vor18. Das wäre eine Reform, die den Arbeitern nützen könnte innerhalb des kapitalistischen Systems, es wäre also eine Konzession. Nun das Aber: Es benötigt dafür einige Bedingungen. Lohnausgleich, also praktisch eine Erhöhung des Stundenlohnes und ein Konzept, wie man diese Reduktion der Arbeitszeit erringen sollte. Es ist offenkundig, dass der seit Jahrzehnten andauernde gewerkschaftliche Kampf um die 35-Stunden-Woche erfolglos verlaufen ist. Immerhin sah Christa Müller, dass es derzeit, also 1994, keine Mehrheit für die Forderung der Arbeitszeitverkürzung gebe19. Das ist bis heute nicht anders, erst recht nicht seit der Schwächung der Gewerkschaften. Es ist außerdem bezeichnend, dass Rudolf Scharping, der spätere Verteidigungsminister Gerhart Schröders, also einer der Verantwortlichen für die Teilnahme der BRD am Kosovokrieg, sich 1994 verbalradikal gab in der sozialen Frage: „Wer den inneren Frieden und den sozialen Frieden unseres Landes wahren will, der muß für Vollbeschäftigung und soziale Gerechtigkeit sorgen.“20 Diese Worte stimmten in keinster Weise mit dem überein, was er als Mitglied des Kabinett Schröder unterstützte. Es war bloße Demagogie, nicht anders als bei der CDU heute. Nun zu einigen aktuellen Zahlen.

Im Juni 2018 gab es 2,34 Millionen Arbeitslose21 und laut Definition der Bundesagentur für Arbeit 990.000 Unterbeschäftigte, sowie eine „stille Reserve“ (nicht gemeldeter Arbeitsloser) von geschätzt einer Million22. Die Gruppe der Unterbeschäftigten umfasst Ein-Euro-Jobber, Arbeitslose in Weiterbildungsmaßnahmen und so weiter. Man kann sie auch kurzgesagt als jene Arbeitslosen bezeichnen, die man aus den offiziellen Angaben rausrechnen möchte. Außerdem werden Arbeitslose über dem 58. Lebensjahr herausgerechnet, weil sie als „schwer vermittelbar“ gelten23. Eine im Juni 2010 erschienene Schätzung kam im Ergebnis für 2010 mit 10,9%24 über die offiziellen Angaben von damals 8,6%25 Arbeitslosigkeit, weil man die nicht-gemeldeten Arbeitslosen mit einrechnete. Die offizielle Arbeitslosenquote im Jahresmittelwert ergab für 2010 sogar lediglich 7,7%26. Es gibt einige Rechentricks, mit denen man Statistiken manipulieren kann und die auf dem ersten Blick, ohne Untersuchung der zu Grund gelegten Definitionen, nicht vollständig begriffen werden können. Jedenfalls steht fest, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen tendenziell zu niedrig angesetzt sind. Das heißt aber nicht einmal, dass sich die BRD der intransparentesten Tricks bedienen würde. Als arbeitslos gilt laut BRD-Definition jemand, der weniger als 15 Stunden in der Woche arbeitet, während die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schon bei einer Stunde Arbeit pro Woche jemanden als „nicht arbeitslos“ einstuft27. Dass man von einer so niedrigen Arbeitsstundenanzahl nicht leben kann, das ist offensichtlich. Derzeit wird von bürgerlicher Seite propagiert, dass die wirtschaftliche Krise alleinig auf Corona zurückzuführen sei. Das ist aber so nicht richtig. Das Börsenbeben von Februar 2018 war offenbar das Vorzeichen, dass man dem kapitalistischen Krisenzyklus, der um die zehn Jahre schwankt, nicht entkommen kann. Ebenfalls im Jahre 2018 begann die deutsche Automobilbranche zu schwächeln28, zum ersten Mal seit 2009. Vor den Krisen muss es logischerweise einen Boom gegeben haben, immerhin bilden beide eine Einheit von gegensätzlichen Zuständen, die einander ablösen. 2007 wuchs die Wirtschaft der BRD mit 2,5% langsamer als die Euro-Zone, die um 2,6% wuchs und langsamer als die Gesamt-EU, die um 2,9% wuchs29. Anfang des Jahres 2007 prognostizierte man noch ein größeres Wirtschaftswachstum, als in der Euro-Zone30. Prognosen sind eben keine Wirtschaftspläne, sondern bloße Wetten auf die Zukunft. Dennoch kam Deutschland im Vergleich noch ganz gut aus der Krise, auch wenn diese zu spüren war. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hatte für 2008 auch noch rosige Prognosen, obwohl diese durch den Beginn der Weltwirtschaftskrise bereits nach anderen Schätzungen nicht mehr realistisch waren31. Im Januar 2019 war die Einschätzung des BDI-Präsidenten Kempf Anbetracht der sinkenden Prognose von 1,8% für 2019 auf 1,0% (tatsächlich waren es später noch weniger, nämlich 0,6%32) jedoch realistisch: „Wirtschaftlich sind die besten Zeiten vorbei.“33 Schon im Juni 2018 begann die Konjunktur am deutschen Arbeitsmarkt an, abzuflauen34. Falls irgendwer also behaupten sollte, dass Corona der einzige Krisengrund wäre, so handelt es sich dabei um einen Demagogen vom Typus Karl Kautsky.

2. Hierzu liegen mir für das Jahr 1964 keine Daten vor. Dafür jedoch Zahlen von 1991 bis heute. Es ist logisch, dass in den 60er Jahren die Konsumtion stieg, besonders wenn relativ viele Leute durch die damalige Nachkriegssituation einen Job hatten und zugleich die Produktivkräfte ein gewisses Niveau erreichten. In dieser Zeit fing auch unter anderem das fleischlastige Fastfood an, damals noch primär mit Brathähnchen. Zuvor war Fleisch relativ teuer gewesen. Die Produktivkräfte entwickeln sich weiter, aber das kommt nicht analog den Werktätigen zugute, wenn sie sich in Privateigentum befinden, denn es geht im Kapitalismus um Maximalprofit und nicht die maximale Bedürfnisbefriedigung. Seit 1991 hatten sich die Preise verdoppelt35 und die Konsumausgaben ebenfalls36. Im gleichen Zeitraum blieb der Anteil der Ausgaben von Privathaushalten für Nahrungsmittel auf dem selben Niveau37. Das deutet auf Stagnation des Konsumniveaus in den vergangenen 30 Jahren hin. Enzensberger präsentierte also eine reine Momentaufnahme unter speziellen Bedingungen, die längst nicht mehr gegeben sind.

3. Es stimmt zu einem gewissen Grad, dass der Klassenkampf „verschleiert“ wurde. Immerhin wurden Sozialreformen auf Pump finanziert, deren Schuldenberg, zusammen mit den anderen Ausgaben des bürgerlichen deutschen Staates, wie zum Beispiel für Rüstung, von den nun werktätigen Generationen abgearbeitet werden müssen mit den Steuergeldern. Unsere Großeltern ließen sich also unter anderem dadurch betrügen, dass sie soziale Konzessionen erhielten, für die wir heute nachträglich zu zahlen haben. Christa Müller erwähnte das Problem der Überschuldung, das weitere Sozialreformen unmöglich machte. Das stimmt auch, wenn man die Bourgeoisie nicht zur Kasse bitten möchte, also für sie Politik betreibt, statt für die Arbeiterklasse. Die Lösung der Kernprobleme des kapitalistischen Systems kann nur nach der Enteignung der Bourgeoisie und der Überführung der Produktionsmittel in Volkseigentum erfolgen.

Insgesamt wurde der Klassenkampf jedoch nicht „verschleiert“ in der damaligen Zeit. Es gab auch in der damaligen Zeit Streikwellen38. Streiks sind nichts anderes als Ausdruck des Klassenkampfes zwischen Proletariat und Bourgeoisie, des antagonistischen Widerspruchs zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern. Die Sozialreformen konnten den Klassenkampf etwas abschwellen lassen, indem man den Werktätigen ein gewisses soziales Sicherungsnetz gewährte, aber auch dies beseitigte den Klassenkampf nicht, das gab Enzensberger selbst zu, aber es machte den Klassenkampf auch nicht völlig unkenntlich. Ein jeder Streik zeigt die Notwendigkeit des Klassenkampfes auf, dass eine „Sozialpartnerschaft“ unmöglich ist. Wäre sie möglich, so müsste man nicht durch Streiks dem Kapitalisten jeden Cent Lohn aus dem Rachen herausholen. Deshalb stimmt es auch nicht, dass die Bourgeoisie durch andere Klassen „assimiliert“ worden sei.

4. Die Bourgeoisie tritt offen in ihrer Existenz zu Tage als Eigentümer der Produktionsmittel, der Betriebe, und ihrem Klassenkampf von oben zur Beschneidung der erkämpften Rechte der Werktätigen. Man könnte nur von einer „Assimilierung“ in dem Sinne sprechen, dass durch die Tendenz der Zentralisierung des Kapitals durch den Ruin von Konkurrenz auf dem Markt die Großbourgeoisie immer reicher wird und Klein- und Mittelbetriebe und teilweise auch großkapitalistische Konzerne eingehen, wie zum Beispiel die Drogeriekette Schlecker im Jahre 2012. Im Kapitalismus läuft es nach dem Motto „Der einzige, der nicht überflüssig ist, das ist der Kapitalist.“, obwohl der Kapitalist keinerlei produktiver oder sonstiger nützlicher Arbeit nachgeht, sondern ihm lediglich die Betriebe gehören. Aber genau das ist es, was ihn nicht wegstreichbar macht, die Tatsache, dass er der Privateigentümer der Betriebe ist und alle anderen bloß ihm hörige Angestellte. Deshalb ist eine tatsächliche „Assimilierung durch andere Klassen“ unmöglich, denn die anderen Klassen sind Werktätige und zu diesen besteht ein antagonistischer Widerspruch. Jeder Cent, den der Arbeiter mehr an Lohn erhält, verliert der Kapitalist an Profit; jeder Cent, den der Kapitalist Profit macht, hat der Arbeiter weniger an Lohn. Beim Kleinbürgertum sieht es ähnlich aus, nur ist es indirekter. Statt Lohnarbeit geht es um Profit aus Krediten und dem Verkauf von Waren. Je mehr Zinsen der Kapitalist kassiert, desto weniger bliebt dem Kleinbürger; je mehr der Kapitalist vom Handelsprofit bereits beim kleinbürgerlichen Zwischenhändler realisiert, desto weniger Gewinnspanne hat dieser. Das gleiche gilt auch hier umgekehrt. Es vollzieht sich also keine „Assimilation“ der Bourgeoisie, sondern der Klassenwiderspruch tritt immer offener zu Tage.

Die vier Punkte, die Enzensberger nennt, sind nichts anderes als Kapitalimusapologetik, ein Ausdruck der bürgerlichen Weltanschauung. Die bürgerliche Weltanschauung war aber nicht zu allen Zeitpunkten in der Geschichte reaktionär.

Der rumäniendeutsche Pfarrer und bürgerliche Revolutionär Stephan Ludwig Roth schrieb einmal: „Wenn die Humanität die sozialen Verhältnisse beherrscht und alle Bewohner wahre Staatsbürger sind wird Friede innen und außen sein, Wohlstand und Zufriedenheit, ein glückliches und seliges Leben auf Erden.“39 Er hatte dabei die bürgerliche Gesellschaft im Auge. Wie aber aufgezeigt, kann der Kapitalismus solche hochgesteckten Ideale nicht verwirklichen. Die obige Demagogie geht in die Richtung dieser damals, im 19. Jahrhundert, revolutionären Forderungen. Im Gegensatz zu Enzensberger war jedoch Roth dabei ehrlich. Die bürgerlichen Revolutionäre konnten nicht wissen, dass der Kapitalismus nicht die letzte Gesellschaftsordnung ist und auch nicht in der Lage ist ihre Ideale zu verwirklichen. Es ist unmöglich hellseherisch in die Zukunft zu blicken, man kann lediglich vom bereits erreichten Stand Prognosen aufstellen. Enzensberger hingegen versucht die Widersprüche des Kapitalismus zu leugnen, obwohl sie unlängst zu Tage getreten sind. Auch wenn sich auf den ersten Blick solche Aussagen ähneln, so sind sie dennoch vor den materiellen Hintergründen verschieden. Roth stellte eine Zukunftsprognose auf, die die bürgerliche Gesellschaft verwirklichen sollte, aber erst der Sozialismus und Kommunismus bringen kann. Enzensberger hingegen stellte Thesen im Widerspruch zum in der BRD bestehenden real existierenden Kapitalismus auf.

Die Bourgeoisie nutzt solche Aussagen, um den Status quo zu rechtfertigen, obwohl diese dem Abgleich mit der Realität nicht standhalten. Deshalb haben wir Sozialisten einen rechtmäßigen Anspruch auf das fortschrittliche Erbe der bürgerlichen Revolutionäre, denn ihre radikalen Ideen waren ein Ausdruck der Kritik an der feudalen Ausbeutergesellschaft. Wir müssen klarmachen, dass ihre ökonomischen und politischen Forderungen nicht ihre Ideale verwirklichen konnten, aber dass diese eben richtig waren und wir voranschreiten müssen, auf dieses Ziel hin, zu einer Gesellschaft ohne Ausbeuter. Wir können damit umso mehr aufzeigen, wie die Bourgeoisie ihre eigenen Ideale verriet, denn die Worte ihrer eigenen Klasse, die ihre Schlachtrufe gegen den Feudalismus bildeten, gelten ihnen heute als „zu radikal“.

Dies als kurzer Exkurs zum Schluss.

1Vgl. Hans Magnus Enzensberger „Politischer Kontext 1964“ In: Georg Büchner/Ludwig Weidig „Der hessische Landbote – Texte, Briefe, Prozeßakten“, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1976, S. 164.

11Vgl. Christa Müller „Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit – sozialverträglich nur im Verbund von SPD und Gewerkschaften machbar“ In: „SPD und Gewerkschaften“, Bd. 2: Ein notwendiges Bündnis, Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 1994, S. 126.

12Ebenda.

14Vgl. Christa Müller „Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit – sozialverträglich nur im Verbund von SPD und Gewerkschaften machbar“ In: „SPD und Gewerkschaften“, Bd. 2: Ein notwendiges Bündnis, Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 1994, S. 122.

15Vgl. Ebenda, S. 127.

16Vgl. Ebenda, S. 128.

17Vgl. Ebenda, S. 134.

18Vgl. Ebenda, S. 146.

19Vgl. Ebenda, S. 147.

20Rudolf Scharping „Reformbündnis Sozialdemokratie und Gewerkschaften“ In: Ebenda, S. 23.

39Der Mühlbacher Trinkspruch“ (1846) In: Stephan Ludwig Roth „Schriften – Briefe – Zeugnisse“, Kriterion Verlag, Bukarest 1974, S. 202.

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