Strache – Liebesgrüße aus Berlin?
erschienen am 24.Mai 2019 via KenFM
‚Hund beißt Mann‚, so heisst es unter Journalisten, sei keine Nachricht. ‚Mann beißt Hund‘ hingegen schon. Nach diesem Muster funktioniert auch die Skandalträchtigkeit des Strache-Videos. Dass er der vermeintlichen lettischen Oligarchen-Nichte eine Beteiligung an der Kronen-Zeitung, dem österreichischen Bild-Äquivalent vorgeschlagen habe, um damit bei den Wahlen erfolgreicher abzuschneiden, wird in Kommentaren ein Anschlag auf die Pressefreiheit genannt, ja, sogar Landesverrat. Ein Politiker maßt sich an, Presseorgane steuern zu wollen, welch Unverschämtheit!
Dass Eigentümer von Medienkonzernen, heißen sie nun Hearst, Hugenberg, Murdoch oder Springer, Politiker machen oder vernichten, ist der Normalfall. Also keine Nachricht. Der ganze restliche Gehalt der bisher veröffentlichten Minuten ist ähnlich banal. Es finden Überlegungen statt, öffentliche Aufträge einem zu gründenden Unternehmen der Lettin zuzuschanzen. Auch hier fällt das wieder nur dadurch auf, dass die Rollen verkehrt sind; das Angebot erfolgt seitens des Politikers.
Der Normalfall verläuft anders herum, oder glaubt ernstlich irgendjemand, als die Allianz ihren Emissär bei Gabriel vorbei schickte, um die Privatisierung der Bundesautobahnen mit staatlicher Garantieverzinsung einzufordern, sei nicht von Gegenleistungen die Rede gewesen? Dieses Manöver zur Rettung der deutschen Versicherungskonzerne wird die Steuerzahler noch um beträchtliche Summen bringen, aber der eine oder andere gut dotierte Posten wird zum Ausgleich schon geschaffen werden. Nur, diese Geschäfte werden nicht vor Kameras ausgehandelt und Politiker wie Medien tun meist einfach so, als gäbe es sie nicht.
Die eigentliche Sensation des Strache-Videos beruht auf einem Tabubruch. In der europäischen Politik wird in der Regel das Privatleben der Politiker respektiert. Wer sich auf dem Münchner Oktoberfest blicken lässt, muss keine Mikrofone unter dem Biertisch fürchten, und die Kaffeekränzchen der Frau Merkel mit Friede Springer und Liz Mohn bleiben unbelauscht. Mit der Veröffentlichung des Strache-Videos haben der SPIEGEL und die Süddeutsche nun dieses ungeschriebene Verbot gebrochen; wenn man herausfinden will, wozu die ganze Affäre dient, muss man diesen Punkt im Blick behalten, denn der Damm, der dadurch gebrochen wurde, ist nicht mehr zu flicken.
Sie hätten nichts für das Video gezahlt, betonen Spiegel und Süddeutsche einhellig. Das ist erstaunlich, denn die Kosten für seine Entstehung waren beträchtlich. Der ehemalige Kompagnon des vermutlichen Organisators beziffert den Gesamtaufwand auf 600.000 Euro. Da dreht jemand ein Video mit österreichischen Politikern für über eine halbe Million, ein halbes Jahr Vorarbeit eingeschlossen, lässt es dann zwei Jahre in einer Schublade liegen und tritt es dann aus reiner Menschenfreundlichkeit an zwei führende deutsche Zeitungen ab, die damit eine österreichische Regierung stürzen? Schon eine eigenartige Geschichte.
Betrachten wir den Aufwand doch etwas genauer. Ich denke, man kann ruhig annehmen, dass Strache das Ziel war, gerade weil der anfängliche Kontakt nicht zu ihm hergestellt wurde. Vor irgendeiner sichtbaren Handlung liegt also noch ein Zeitraum, in dem Erkundigungen über Strache eingezogen wurden, um herauszufinden, welche Person seines Vertrauens als ‚Türöffner‘ fungieren könnte. Bei Gudenus bot sich dann eine günstige Gelegenheit, nach dem Tod seines Vaters (also in einer emotional verwundbaren Phase) meldete sich über einen Anwalt und eine Immobilienmaklerin die vermeintliche Lettin bei ihm, sie wolle die Jagd seines Vaters kaufen.
Zum ersten Treffen in einem Wiener Nobellokal kam besagte Dame in einem Maybach mit Chauffeur und zwei Bodyguards vorgefahren. Der Anlass war gut gewählt – der beabsichtigte Kauf bot dem beteiligten Anwalt einen Grund, eine Passkopie und Kontoauszüge seiner Mandantin vorzulegen und damit eventuelle Zweifel an ihrer Identität von Anfang an durch einen Frontalangriff zu minimieren. Die russische Presse wundert sich darüber, dass Gudenus ihre Identität nicht durch eine Nachfrage bei der russischen Botschaft überprüft hat; wenn die Darstellerin in diesem Moment freundlich und mitfühlend genug aufgetreten ist, kann das im Zusammenspiel mit den vermeintlich vorgelegten Dokumenten dazu geführt haben, dass das Opfer des Spiels Hemmungen verspürte, dieses Gegenüber in Frage zu stellen. Je angenehmer die Illusion ist, desto geringer die Bereitschaft, sie anzuzweifeln…
Der Kontakt wurde über Monate hinweg gehalten, so dass Gudenus bei dem Treffen auf Ibiza bereits verlässlich als ‚Bürge‘ für die falsche Lettin fungierte und selbst aktiv Zweifel an der Darstellerin zerstreute. Das bedeutet aber, dass hier mehrere Personen über einen langen Zeitraum hinweg kontinuierlich eine Rolle eingenommen haben und, zumindest vorübergehend, auch immer wieder entsprechend dieser Rolle gekleidet und untergebracht werden mussten. Selbst wenn jedes Kleidungsstück nur geliehen war, dürfte die Schätzung von 600 000 Euro durchaus realistisch sein.
Die entscheidende Frage in der ganzen Affäre lautet nun: wer hat dieses Drama finanziert? Die Durchführenden sind zumindest teilweise inzwischen bekannt, allerdings unauffindbar. Neben einem Wiener Rechtsanwalt ist das der Inhaber einer Münchner Detektei, die, ihrer Eigenwerbung zu Folge, vor allem mit der Aufklärung von Wirtschaftskriminalität befasst ist.
Eine der kursierenden Theorien lautet, es habe sich um gewerbsmäßige Erpressung gehandelt, und Gudenus und Strache hätten über längere Zeit hinweg immer wieder gezahlt. Dagegen spricht allerdings, dass sie dann von der Veröffentlichung nicht überrascht worden wären und schon längst vereinbart gehabt hätten, wie sie in diesem Falle reagieren würden. Die Erpressungstheorie würde zwar die zeitliche Lücke zwischen Anfertigung und Veröffentlichung des Videos erklären, nicht aber die Reaktion der Betroffenen.
Eine zweite Theorie bringt dieses Video in Verbindung mit dem Tal-Silberstein-Skandal. Silberstein war von der SPÖ formell als Wahlkampfberater engagiert worden und erhielt 536 000 Euro für eine Kampagne, die den ÖVP-Kandidaten Kurz in sozialen Netzwerken persönlich angriff. Nun fallen die Ereignisse durchaus in die Zeit seiner Tätigkeit, aber die genannten Kosten von 600 000 Euro sind so hoch, dass auch die SPÖ sie nicht einfach auf den Tisch legen könnte, schon gar nicht, um das Resultat dann erst einmal zwei Jahre zu lagern. Aus den gleichen Gründen scheiden Fernsehanstalten und ihre Beschäftigten oder Presseorgane aus. Sie würden das Ergebnis auf jeden Fall sofort verwerten.
Eine weitere Version geht davon aus, das Video sei in der Zwischenzeit gehandelt worden, sprich, der ursprüngliche Ersteller habe es meistbietend verkauft. Dann bliebe immer noch die Frage, wer es erworben und dann gelagert hat, und warum diese Person oder Institution es dann jetzt lanciert hat.
Bleibt eine letzte Theorie, die interessanterweise in den deutschen Medien von gleich zwei ehemaligen Angehörigen des BND vertreten wurde: dass es sich um eine Operation eines Nachrichtendienstes handelt. Das Interview des Ex-BND-Chefs Hanning auf n-tv (1) entbehrt sogar nicht einer gewissen Komik, weil der Interviewer ständig nach einer Wahlbeeinflussung durch die Journalisten von SZ und Spiegel fragt, der Interviewte aber immer wieder auf Nachrichtendienste kommt. Auffällig ist aber auch, dass nur von Wahlbeinflussung die Rede ist, während die tatsächlichen Ereignisse (der Sturz einer österreichischen Regierung) besser mit dem Begriff Regime-Change beschrieben wären.
Der zweite BND-Vertreter, der sich zu Wort meldete, war Rudolf Adam im Cicero. Adam war BND-Vizepräsident von 2001 bis 2004, und er erklärt kategorisch: „Die Herstellung dieses Videos deutet darauf hin, dass es sich nicht um die Arbeit von Journalisten handelt, sondern professionelle Geheimdienstler am Werk waren. Die Aktion ist mit großem finanziellen und organisatorischem Aufwand vorbereitet und durchgeführt worden.“ Und er liefert dann gleich einen Verdächtigen mit, den israelischen Mossad… nicht, ohne zuvor zu behaupten, „kein europäischer Dienst dürfte und könnte so etwas durchführen.“ Privatpersonen, selbst ehemalige Nachrichtendienstler, wären seiner Meinung nach auf keinen Fall zu einer solchen Operation im Stande.
Adam unterläuft allerdings seine eigene Argumentation mit einem einzigen Satz. „Viele russische Oligarchen entstammen jüdischen Familien und unterhalten enge Beziehungen zu Israel.“ Damit hat er genau den Punkt benannt, der den Mossad als Verdächtigen beinahe ausschließt – warum sollte mit viel Aufwand eine falsche Oligarchennichte aufgebaut werden, wenn man doch echte haben kann?
Wer hätte denn Interesse daran, die österreichische Regierung zu stürzen? Die Begeisterung, mit der bundesdeutsche Politiker den Video-Skandal kommentierten, war groß genug, dass die Neue Züricher schrieb, „deutsche Spitzenpolitiker redeten über Österreich, als wäre Wien Magdeburg oder Hannover.“ Und weiter: „Natürlich kann man in Zeiten der europäischen Einigung die Frage stellen, inwieweit es so etwas wie innere Angelegenheiten innerhalb der EU überhaupt noch geben kann. Wer so argumentiert, müsse allerdings eine ganze Reihe moralischer Probleme erörtern, etwa wie es die SPD mit Rumäniens korrupter sozialdemokratischer Regierungspartei hält oder wie sich die CDU und die deutsche FDP dazu verhalten, dass ihre politischen Freunde in Estland in einer Koalition mit der Konservativen Volkspartei regieren, deren Chef Homosexuelle als «Perverse» bezeichnet und sich an der Anwesenheit von «Negern» in Tallinn stört.“
Dass Merkel ausgerechnet neben dem kroatischen Ministerpräsidenten Plenkovic, dessen Partei die Ustascha-Faschisten verherrlicht, eine Wahlkampfrede ‚gegen Nationalismus‘ hielt, gehört ebenfalls zu diesen falschen Tönen. Nationalisten sind eben nur dann böse, wenn sie nicht auf Berlin hören.
Die Veröffentlichung dieses Videos war nicht nur ‚Wahlbeeinflussung‘, sie war ein Putsch. Es ging nicht um die Europawahlen; das ganze Bohei, das darum gemacht wurde, dient nur dazu, die Reihen hinter der Bundesregierung zu schließen, machtpolitisch sind sie völlig unbedeutend; selbst wenn das EU-Parlament mit lauter EU-Gegnern bestückt würde, die Kommission könnte dennoch durchregieren. Eine österreichische Regierung aber, die beispielsweise Sanktionsbeschlüssen im Weg steht, findet in Berlin wenig Gegenliebe.
Und es gibt noch einen weiteren Grund. Die ÖVP-FPÖ-Koalition hat zwar eine Reihe von Schritten unternommen, um den österreichischen Sozialstaat in Stücke zu hauen, aber verglichen mit der Bundesrepublik sind Renten und Mietrecht noch geradezu paradiesisch. Wenn man die nächste Verarmungsrunde in Deutschland einläuten will, dann muss zuvor das Nachbarland geschliffen werden, und sei es, weil jeder auf Deutsch nachlesen kann, dass andere Verhältnisse möglich sind.
Bisher ist ein winziges Bruchstück eines mehrere Stunden dauernden Videos veröffentlicht. Was, wenn der Rest genug Material enthält, um die ganze österreichische Parteienlandschaft zu zerlegen und dann durch ein Kunstwesen a la Macron zu ersetzen? Oder wenn das Ende dieser Regierung in Österreich eine Warnung an alle anderen europäischen Regierungen sein sollte, wie es jenen ergeht, die sich gegen Berlin stellen?
Der Neubau des BND in Berlin war eine architektonische Ankündigung. Wir wollen mit den Großen mitspielen. Es wäre nicht wirklich überraschend, wenn die Handlungen inzwischen dieser Ankündigung entsprächen. Dann wären die Aussagen der zwei Ex-BNDler eine Art halbes Bekenntnis, das für die Wirkung einer solchen Drohung erforderlich ist.
Grund zum Jubel bietet die ganze Affäre jedenfalls nicht. Denn das wahre Herz der Finsternis in der EU schlägt in Berlin, und jede politische Entwicklung, die die Berliner Macht in Europa stärkt, richtet sich gegen die Menschen in Europa, gegen Demokratie und Souveränität, gegen den Frieden. Österreich ist ein souveränes Land und ein Angriff auf diese Souveränität aus Deutschland, über Geheimdienste oder über die Presse oder beides, ist immer ein Schritt in die falsche Richtung.
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