von Dagmar Henn
Es gibt in dieser Frage keine einfache Position. Warum? Weil mehrere Auseinandersetzungen ineinander laufen.
Auf der einen Seite gibt es berechtigte Beschwerden aus Katalonien die Autonomie betreffend. Die gegenwärtige PP-Regierung hat versucht, diese Autonomie so weit wie möglich abzubauen. Dabei geht es um kulturelle Rechte; also das Recht, in der eigenen Sprache zu verwalten, Bildung zu betreiben etc.
Schwierig wird es beim Punkt ökonomischer Loslösung. Spanien ist nach wie vor nur teilindustrialisiert; seit dem Anfang des 20.Jahrhunderts hat sich wenig daran geändert, dass Katalonien und das Baskenland die zwei industrialisierten Regionen sind. Unter anderem aus diesem Grund entstand die spanische Immobilienblase – sie war auch Ausdruck der Tatsache, dass eine nachholende Industrialisierung weltweit nur noch unter den Bedingungen der Abschottung möglich ist (was zu dem perversen Nebeneffekt führt, dass Sanktionen für ein Land unter Umständen nützlich sein können, weil sie de facto wie Schutzzölle wirken, die zur Zeit politisch nicht durchsetzbar sind, aber für nachholende Industrialisierung wegen des Produktivitätsgefälles unerlässlich). Das Baugewerbe ist einer der wenigen Bereiche, die sich nicht in Billiglohnländer verlagern lassen…
Die restlichen Gebiete Spaniens sind weitgehend von finanziellen Transfers aus diesen beiden Industriegebieten abhängig. Das heisst, eine tatsächlich vollzogene Abspaltung kann sich durchaus zu einer sozialen Katastrophe entwickeln. Man muss nur die Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien betrachten oder beobachten, wie viele junge Spanier inzwischen in manchen deutschen Städten unterwegs sind.
Das deutsche Kapital hat keinerlei Probleme mit einer Abspaltung. Je kleiner die restlichen europäischen Länder sind, desto besser sind sie unter Kontrolle zu halten. Dass die Perspektive auch für ein unabhängiges Katalonien letztlich Deindustrialisierung lauten wird, solange Deutschropa weiterbesteht, der Groschen ist in der katalonischen Bourgeoisie entweder noch nicht gefallen, oder sie sind zufrieden mit einem Kompradorenstatus. Dabei darf man nicht vergessen, dass mit SEAT beispielsweise große Brocken ohnehin schon in deutschem Besitz sind.
Wenn Katalonien sich erfolgreich abspaltet, wird das Baskenland folgen. Das ist objektiv verheerend für die anderen spanischen Provinzen, nicht nur in der Fantasie der Kryptofaschisten der PP.
Natürlich könnte das auch zur Folge haben, dass die sozialen Auseinandersetzungen sich dort zuspitzen, um die Frage der Wohnungslosigkeit z.B., aber darauf zu setzen halte ich jetzt nicht wirklich für eine fortschrittliche Strategie… mag ja sein, dass dann die feudalen Reste und die kirchliche Macht endlich weggefegt würden, aber beim augenblicklichen Zustand der Weltökonomie hätte selbst ein sozialistisches Restspanien keine Entwicklungsperspektive.
Es ist nicht zu leugnen, dass der Widerstand gegen die Transferzahlungen durchaus ein starkes Moment von Entsolidarisierung beinhaltet.
Sprich, in Summe ist eine tatsächliche Abspaltung Kataloniens keine fortschrittliche Perspektive.
Gleichzeitig ist die momentane Auseinandersetzung aber auch eine um demokratische Rechte und ein Teil des in ganz Europa aufflammenden Ringens mit faschistischen Tendenzen. An dieser Stelle, bei der Verteidigung demokratischer Rechte und in dem Verlangen, vernünftige und offene Verhandlungen um alle Fragen kultureller Autonomie führen zu können, muss man mit den Katalanen solidarisch sein.
Kommt euch das historisch bekannt vor? Für das Recht auf eine Abtrennung, aber gegen die Durchführung der Abtrennung? Ich glaube, sowas gab es schon bei Lenin…
Ja, mit weniger WIdersprüchen geht die Sache nicht ab.