Massenprotest und Massenorganisation – Fünf Jahre danach
Am 1. März 2020, also vor genau fünf Jahren, veröffentlichte ich einen Beitrag1, in welchem ich die Gelbwesten in Frankreich und Fridays for Future in Deutschland miteinander verglich, welche damals große zeitgenössische Massenbewegungen darstellten. Ich stellte einige Prognosen auf, die man nun ein halbes Jahrzehnt später im Rückblick betrachten kann.
Die Gelbwesten sind, wie vorhergesagt, völlig verpufft. Von ihnen blieb organisatorisch nichts übrig. Ihr Protest war zwar sehr radikal geführt, aber kopflos. Sie waren bereits vor fünf Jahren im Abklingen und nun sind sie nur noch eine ferne Erinnerung in der Geschichte von Protesten gegen die Regierung Macron.
Fridays for Future ist längst nicht mehr so zugstark wie 2019, aber durch ihre Strukturen noch immer in der Lage zu gelegentlichen Protesten aufzurufen. Diese Strukturen werden aber von deren rechten Flügel dominiert. Es gibt zwar noch Ökosozialisten bei FFF, aber diese stellen eine marginalisierte Minderheit dar. Die Mehrheit strebt im Prinzip nach einem „grünen Kapitalismus“. Seitdem Greta Thunberg sich für Palästina einsetzt, ist sie in Deutschland weitestgehend als Maskottchen von FFF in Ungnade gefallen. In den bürgerlichen Medien sowieso, aber auch bei einer Reihe von FFF-Anhängern, wenn auch nicht bei allen. FFF scheint jedenfalls auch in Zukunft weiterzubestehen auf einem nun relativ stabilem Niveau und mit Strukturen, die vom rechten Flügel besetzt sind und deren linker Flügel weitestgehend neutralisiert ist.
Wieso komme ich eigentlich nach fünf Jahren auf diesen Beitrag zurück? Weil man aus diesen Massenbewegungen eines lernen kann: Ohne Organisation verläuft eine Bewegung völlig im Sande. Die Gelbwesten bezeugen das. FFF hingegen hat durch ihre Organisation es geschafft sich als bleibende Kraft zu etablieren. Wenn sie auch ganz offensichtlich viel an Elan eingebüßt haben, so sind sie dennoch zur Mobilisation von Massen in der Lage. Sie waren nie so radikal wie die Gelbwesten, wie ich schon vor fünf Jahren klar festhielt, aber sie besitzen den längeren Atem.
Anton Stengl schreibt in „Zur Geschichte der ´K-Gruppen´“:
„Die Debatte um die Organisationsform ist fundamental, ja direkt lebensnotwendig. Irgendwann geht jede Bewegung zu Ende, sie kann versiegen, ohne Spuren zu hinterlassen oder sich einfach mit erreichten Erfolgen zufrieden geben und nach Hause gehen oder sie zieht weiter, findet entweder andere konkrete Ziele und Tagesaufgaben oder sie verändert sich qualitativ, etwa im Sinn gesamtgesellschaftlicher Veränderung.“2
Wie recht er doch hat! Wir sollten uns diese Zeilen zu Herzen nehmen und entsprechend unsere Haltung überdenken in Bezug auf Massenbewegungen. Vor fünf Jahren waren die Gelbwesten unter Genossen sehr im Hype während Fridays for Future kritisch beäugt worden ist. Wo sind nun die bejubelten Gelbwesten? Die Leute sind nachhause gegangen, nachdem sie ein wenig Dampf abgelassen haben! Macrons minimales Einknicken damals hatte niemanden zufriedengestellt, aber die Proteste versiegten trotzdem. Nun sind die Gelbwesten bereits so in Vergessenheit geraten, als hätten sie nie existiert. Die zu ziehende Lehre lautet:
Ohne Strukturaufbau sind Massenproteste langfristig wertlos!
2 Anton Stengl „Die Geschichte der ´K-gruppen´“, Zambon Verlag, Frankfurt am Main 2011, S. 19.