Linkssein versus Klassenbewusstsein
Linkssein ersetzt in den Augen allzu vieler Genossen allzu häufig die Bedeutung des Klassenbewusstseins. Es gibt, angeregt von Einflüssen aus den USA, Bestrebungen eine „linke Einheit“ zu erschaffen. Diese Genossen machen sich offenbar wenig Gedanken darüber, was Linkssein für sich als links verstehende Personen überhaupt bedeutet. Die meisten Leute bezeichnen sich heutzutage nämlich als „links“, um nicht „rechts“ zu sein. Inhaltlich sind sie dann aber bloß liberal.
Im Jahre 2015 erschien eine Studie unter dem Titel „Politisches Engagement und Selbstverständnis linksaffiner Jugendlicher“ im Springer-Verlag. Wie der Titel bereits anmerkt, liegt der Fokus hier auf Jugendlichen. Diese sind das altersmäßige Hauptklientel, das es zu erreichen gilt, um die politische Stafette an die nächste Generation weiterzureichen. Jugendliche sind in der Tendenz linker gesinnt, als ältere Semester. Bei einem Vergleich der 16. Shell-Jugendstudie aus dem Jahre 2010 mit den früheren durch die Autoren ergab sich, dass eine linke Tendenz zunahm. Die Jugendlichen im Alter von 15-25 Jahren sollten sich selbst auf einer Skala von 0 (links) bis 10 (rechts) einordnen. Das Ergebnis lautete:
„Links“ (0-2): 9%
„Eher links“ (3-4): 29%
„Mittig“ (5): 29%
„Eher rechts“ (6-7): 15%
„Rechts“ (8-10): 3%
„Ohne Positionierung“: 14%1
Was man daraus ersehen kann, ist, dass ein linkes Selbstverständnis unter Jugendlichen eine große Minderheit darstellt. Damit ist aber nichts darüber ausgesagt, was sie unter dem Linkssein verstehen. Dazu interviewten die Autoren der oben genannten Studie sich als links bezeichnende Jugendliche darüber, was Linkssein für sie bedeute. Eine Antwort lautete:
„Also, auf jeden Fall eine gewisse Einstellung zu sozialer Ungerechtigkeit und eine Einstellung dazu, dass die (Probleme) irgendwie auch menschengemacht sind und deswegen auch verändert werden können. Auch eine gewisse Einstellung dazu, dass Leute selber darüber entscheiden können sollten, was für sie ein gutes Leben ist und dass, also zumindest – jetzt komme ich wieder zu mir, was für mich links ist. Ich glaube nicht, dass ein 40-Stunden-Job ein gutes Leben für alle Menschen ist, wo sie nicht mal gut bezahlt werden oder so. (I-6)“2
Eine weitere Antwort war dem ganz ähnlich:
„Hm, das bedeutet für mich vordergründig die ganzen, also die große, riesige Vielzahl an verschiedensten Ungerechtigkeiten nicht einfach hinzunehmen und nicht nur nicht hinzunehmen, sondern auch aktiv dagegen einzustehen. Und darüber hinaus auch immer eine Perspektive zu haben, was danach kommen sollte. (I-30)“3
Das sind natürlich die Antworten, die die Genossen hören wollen, die Linkssein und Klassenbewusstsein praktisch als ein und dasselbe ansehen. Es gibt aber auch solche Antworten:
„Für mich ist links nicht rechts und in sehr klarer Abgrenzung, in Gegnerschaft zu allen menschenverachtenden Ideologien, gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeiten. (I-24)“4
Allein schon zu sagen „für mich ist links nicht rechts“ ist so eine Inhaltsleere, und das, was folgte, zeugt auch bloß von einem gesellschaftlichen Liberalismus. Links ist also in diesem Fall einfach Mainstream. Harry Rowohlt lieferte 2005 der TAZ ein Kurzinterview, das genauso wenig aussagekräftig ist:
TAZ: „Was ist links?“
Harry Rowohlt: „Keine Ahnung.“
TAZ: „Sind Sie links?“
Harry Rowohlt. „Ja.“5
Durch dieses Interview ist die absurde Leere des Links-Begriffs auf die offensichtlichste Weise offenbart. Jeder Linke definiert den Begriff „links“ anders. Eine „linke Einheit“ kann deshalb nur eine Scheineinheit dem Wort nach, nicht aber dem Inhalt nach, sein. Ein Interviewter drückte dieses Problem folgendermaßen aus: „Also, den Begriff links finde ich eigentlich schon mal schlecht. Weil der halt nur auf irgendeiner Sitzplatzordnung in der Französischen Revolution basiert, und sich doch in diesem Bereich links wirklich sehr konträre Sachen zusammenfinden, also in dem was man jetzt unter links alles einordnen würde.“6 Man muss bedenken: Auf diesem Spektrum gelten die SPD, die Grünen, die Linkspartei und selbst die Tierschutzpartei als „links“, obwohl diese Parteien weit davon entfernt sind, Klassenpolitik für die Werktätigen zu betreiben.
Es gibt natürlich auch andere Personen, die für sich das Etikett „links“ ablehnten aus verschiedenen Gründen. Einer, weil er mit „vielen, aber nicht allen“ Punkten übereinstimme, die als „links“ verstanden werden7. Dort hat man also jemanden, der gewissermaßen „objektiv links“ ist, ohne sich selbst so zu verstehen. Eine weitere Person meinte, dass sie zwar von außen als „links“ angesehen werde, weil sie gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus usw. sei, aber andererseits Kriege befürworte8. Darin zeigt sich doch, wie diese gesellschaftlichen Themen doch bloß liberal sind. Diese Themen dominieren aber das Verständnis von „Linkssein“.
Linkssein hat keine direkte Verbindung zu Klassenbewusstsein. Durch Klassenbewusstsein wird man natürlich dem linken Spektrum zugeordnet. Dies wird aber auch das gesamte sozialdemokratische und vor allem das linksliberale Klientel, welches den Fokus nicht auf die Verbesserung der Lebenslage des werktätigen Volkes legt, sondern sich auf „Politische Korrektheit“ und entsprechende Begrifflichkeiten konzentriert, sowie einige neoliberale Identitätsrechte, mit denen niemandem geholfen ist. Zwischen uns Marxisten und diesem Klientel gibt es praktisch so gut wie keine Schnittmenge.
Linkssein ist also nicht unbedingt ein Bekenntnis zum Sozialismus, schon gar nicht zum Marxismus. Es ist eine völlig vage bürgerliche Zuordnung. Natürlich kann man das Links-Rechts-Schema nicht ausblenden, als würde es das nicht geben. Man sollte es aber nicht als Identifikationspunkt benutzen. Stattdessen sollten wir Leute nach ihrer Haltung zu Interessen des werktätigen Volkes bewerten.
Unser Motto sollte nicht in erster Linie „links gegen rechts“ lauten, sondern: „Klasse gegen Klasse!“
1 Vgl. Katrin Hillebrand/Kristina Zenner/Tobias Schmidt/Wolfgang Kühnel/Helmut Willems „Politisches Engagement und Selbstverständnis linksaffiner Jugendlicher“, Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015, S. 91. Offenbar ging ein Prozentpunkt durch Rundungen verloren.
2 Zit. nach: Ebenda, S. 94.
3 Zit. nach: Ebenda, S. 95.
4 Zit. nach: Ebenda, S. 96.
6 Zit. nach: Katrin Hillebrand/Kristina Zenner/Tobias Schmidt/Wolfgang Kühnel/Helmut Willems „Politisches Engagement und Selbstverständnis linksaffiner Jugendlicher“, Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015, S. 96.
7 Vgl. Ebenda, S. 97.
8 Vgl. Ebenda, S. 98.