Ist es verboten, Sachen auf den Grund zu gehen? – Eine weitere Kritik an Luther

Es ist kein Geheimnis, dass Martin Luthers Theologie widersprüchlich ist, vor allem bei einem Abgleich mit der Bibel. Diesem Themenkomplex habe ich nun schon einige Abhandlungen gewidmet. Nun kommt eine weitere: Diesmal zum Thema, ob man aus Sicht des Luthertums überhaupt Dingen auf den Grund gehen darf.

Martin Luther sagte: Die schwersten Anfechtungen sind, wenn der Teufel uns dahin bringt, daß wir nach den Ursachen des Wohlergehens und des Unglücks forschen. Keine Anfechtung bringt leichter zu Fall, als danach zu forschen, warum dies oder jenes geschieht.“1

Luther verbietet es also, Dingen auf den Grund zu gehen. Der Mensch soll aus seiner Sicht offenbar so viel kritisches Denken besitzen, wie ein aufziehbarer Spielzeugsoldat. Er liefert dafür keine biblische Begründung, sondern sieht dahinter den Teufel.

Geht man von Luthers mittelalterlichem Weltbild aus, so steckt hinter jedem Übel der Teufel. So sah er den Teufel als Ursache des Suizids an2, aber nicht nur das. Im Prinzip stammten alle negativen Dinge vom Teufel und alle positiven Dinge von Gott: „Gott schickt keine Not in die Welt außer durch den Teufel. Alle Traurigkeit und jede Krankheit kommt vom Teufel, nicht von Gott. […] Was mit dem Tode zu tun hat, ist das Werk des Teufels; dagegen was das Leben angeht, das ist Gottes Gnade.3 Aus biblischer Sicht ist diese Sichtweise nicht korrekt. Im Hinblick auf die Hiobsgeschichte mag es stimmen, dass der Teufel Hiob mit Geschwüren plagte und Gott dabei zusah4. Aber im Falle der Sintflut stimmt das nicht. Bei der Sintflut sprach Gott: „Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“5 Diese Stelle verursachte theologische Probleme, die Luther stillschweigend übergeht. Auch die Zehn Plagen beinhalteten Geschwüre6 und sogar den Tod der Erstgeborenen7. Und Sodom und Gomorra wurden von Gott von einem Meteor zerstört8, weil diese in der Stadt als Gäste verweilende Männer zu homosexuellem Geschlechtsverkehr zwangen9. Man kann zwar sagen, dass der Teufel Adam und Eva dazu in Versuchung gebracht hat, vom Baum der Erkenntnis zu essen, aber dennoch war es Gott, der sie zu einem Leben voll Plage und Tod verurteilte, als er sie aus dem Garten Eden vertrieb: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“10 Man kann versuchen, dieses Urteil indirekt dem Teufel zuzuschreiben, aber letztlich verurteilt Gott hier sozusagen einen „Fehler in der Schöpfung“, seiner eigenen Schöpfung. Aber bleiben wir bei der innerchristlichen Glaubenslogik.

War Gott jetzt etwa der Teufel höchstpersönlich? So zumindest, wenn man Luthers Falschbehauptung konsequent zu Ende denkt. Aber Luther hielt Gott nicht für einen Demiurg, wie die Gnostiker. Er versucht das Problem der Theodizee (Gottesgerechtigkeit) zu umgehen und verschlimmert es im Grunde nur. Selbst wenn man annimmt, dass die Strafen berechtigt waren, so wie die Bibel es vermittelt, so ist Gott dennoch nicht frei davon, auch „schlechte“ Dinge in die Welt zu bringen. Das „außer durch den Teufel“ impliziert, dass Gott den Teufel schuf, aber das dürfte jedem Gläubigen klar sein. Kommen wir aber zum Ausgangsthema zurück.

Luther sieht also hinter allem den Teufel, selbst offenbar hinter Dingen, die zum Repertoire Gottes selbst gehören, weil diese in sein bis zur Verfälschung der Tatsachen stark vereinfachtes theologisches Schema nicht hineinpassen. Was steckt aber wirklich dahinter?

Es ist wieder einmal Luthers blinder Autoritätsglaube, den ich bereits kritisiert habe11. Wenn man Sachen auf den Grund geht und fragt „Warum ist das so?“, dann stößt man natürlich auf Antworten, die der Obrigkeit missfallen. Wenn die Bauern fragen „Warum sind wir so arm?“, und sie forschen nach, so wird die Antwort natürlich lauten: „Wegen der Fürsten!“ Das ist nämlich die angesprochene Frage nach „Wohlergehen“ und „Unglück“. Er meinte damit die soziale Frage. Hier sieht man, dass Luthers Obrigkeitsverständnis nicht nur ein physisches war, sondern auch ein psychisches. Dass man Prediger, die „Häresie“ predigen würden, verpetzen sollte, hatte ich bereits erwähnt. Aber seine Gedankenpolizei geht offensichtlich noch eine Schicht tiefer, nämlich in das innere Gefilde des rationalen Denkens eines jeden Individuums. Luther wollte nicht, dass die Menschen irgendetwas hinterfragten. Das betraf letztlich nicht nur die weltliche Obrigkeit. Seine theologische Autorität war stark anfechtbar. Luthers Theologie war zusammengelumpt je nach den augenblicklichen Bedürfnisse seiner feudalen Brotgeber. Wie man oben bereits ersehen kann, stimmt auch seine Behauptung über die Taten von Gott und Teufel nicht mit der Bibel überein. Jeder, der sich „Warum?“ fragt, erkennt, dass Luther Scharlatanie betrieben hat. Weil er, der „große Bibelübersetzer“ das gewusst haben muss (es sei denn, mal wolle nun behaupten, er habe die Bibel nur übersetzt, aber deren Inhalt nie erfasst), versuchte er seine Lügen mit einer totalen Kontrolle auf weltlichem und geistlichem Gebiet zu überdecken.

Man kann auch an diesem Beispiel klar ersehen, dass Luther mehr ein feudaler Ideologe als ein christlicher Theologe gewesen ist.

1 Martin Luther „Tischreden“, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1987, S. 255.

2 Vgl. Ebenda, S. 261.

3 Ebenda, S. 297.

4 Siehe: Hiob 2, 7.

5 1. Mose 6, 7.

6 2. Mose 9, 10.

7 2. Mose 11, 4-5.

8 1. Mose 19, 28-29.

9 1. Mose 19, 5.

10 1. Mose 3, 19.

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