Gibt es die „asiatische Produktionsweise“ wirklich?

Jedem Genossen dürfte diese Aufzählung der Gesellschaftsformen in Stalins Werk „Über dialektischen und historischen Materialismus“ bekannt sein: „Die Geschichte kennt fünf Grundtypen von Produktionsverhältnissen: die Produktionsverhältnisse der Urgemeinschaft, der Sklaverei, des Feudalismus, des Kapitalismus, des Sozialismus.“1 Diese Aufzählung ist korrekt. Aus bürgerlicher Sicht jedoch wurde damit die „asiatische Produktionsweise“ durch Stalin „verboten“2. Dieser Terminus dürfte den meisten Genossen heutzutage nicht geläufig sein, weil er falsch und längst verworfen worden ist.

Der Begriff „asiatische Produktionsweise“ geht auf ein Zitat aus dem Vorwort von Marx´ „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ zurück: „In großen Umrissen können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden.“3 Mit der „antiken Produktionsweise“ ist offenbar die Sklaverei gemeint.

Die „asiatische Produktionsweise“ ist auf unzureichende Kenntnisse zurückzuführen zum Zeitpunkt der Formulierung dieser. Schaut man sich die Beschreibungen von Marx an zur „asiatischen Produktionsweise“, so findet man dort eher den Feudalismus wider. So zum Beispiel, dass in „asiatischen Gesellschaften“ der Monarch der „exklusive Besitzer des Landsurplusproduktes“ sei4. Das trägt deutliche feudale Züge.

Dieser Fehler wurde später von Engels berichtigt. In einer längeren Anmerkung zum „Manifest der Kommunistischen Partei“ schrieb er 1888: 1847 war die Vorgeschichte der Gesellschaft, die gesellschaftliche Organisation, die aller niedergeschriebenen Geschichte vorausging, noch so gut wie unbekannt. Seitdem hat Haxthausen das Gemeineigentum am Boden in Rußland entdeckt, Maurer hat es nachgewiesen als die gesellschaftliche Grundlage, wovon alle deutschen Stämme geschichtlich ausgingen, und allmählich fand man, daß Dorfgemeinden mit gemeinsamem Bodenbesitz die Urform der Gesellschaft waren von Indien bis Irland. Schließlich wurde die innere Organisation dieser urwüchsigen kommunistischen Gesellschaft in ihrer typischen Form bloßgelegt durch Morgans krönende Entdeckung der wahren Natur der Gens und ihrer Stellung im Stamm. Mit der Auflösung dieser ursprünglichen Gemeinwesen beginnt die Spaltung der Gesellschaft in besondre und schließlich einander entgegengesetzte Klassen. Ich habe versucht, diesen Auflösungsprozeß in ´Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats´ zu verfolgen; zweite Auflage, Stuttgart 1886.“5 Dieses „Gemeineigentum am Boden“ erwähnte Marx auch als einen Bestandteil der „asiatischen Produktionsweise“6. Engels erwähnte die „asiatische Produktionsweise“ in dieser Fußnote nicht explizit, aber durch den Kontext wird ersichtlich, dass diese faktisch hier unter Kritik steht. Und auch in Engels´ Werk „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ wird ersichtlich, dass diese falsche Theorie ad acta gelegt worden ist. Engels schreibt nämlich eindeutig:

Die Sklaverei ist die erste, der antiken Welt eigentümliche Form der Ausbeutung; ihr folgt die Leibeigenschaft im Mittelalter, die Lohnarbeit in der neueren Zeit.“7

Wie man ersehen kann, werfen bürgerliche Marxologen mit Begriffen um sich, die bei Marx und Engels zwar auftauchen, aber die wiederum von ihnen auch später berichtigt worden sind. Es ist eine Lächerlichkeit, dass von bürgerliche Seite uns Marxisten einerseits vorgeworfen wird, dass wir von Marx und Engels „jedes Wort blind übernehmen“ würden, andererseits man uns aber ebenfalls „stalinistische Zensur“ vorwirft, wenn wir derartig obsolete Terminologie nicht verwenden.

An dieser Frage erkennt man, dass der Marxismus eine wissenschaftliche Weltanschauung und kein Dogma ist. Wäre der Marxismus ein Dogma, wäre an der irrigen These einer „asiatischen Produktionsweise“ von marxistischer Seite festgehalten worden, statt sie zu berichtigen. Marx und Engels hatten nicht recht kraft ihrer Autorität, sondern kraft ihrer Erkenntnis der objektiven Wahrheit. Und der Weg zur Wahrheit verläuft nicht immer ohne Fehler, sondern durch die Erkennung und Berichtigung von Fehlern. Solange wir dies auch im Heute und in Zukunft tun, werden wir vorankommen.

1 „Über dialektischen und historischen Materialismus“ (September 1938) In: J. Stalin „Fragen des Leninismus“, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1947, S. 670.

3 Karl Marx „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ (1859) In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 13, Dietz Verlag, Berlin 1961, S. 9.

4 Vgl. Karl Marx „Ökonomische Manuskripte“ (1857/1858) In: Ebenda, Bd. 42, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 379.

5 „Manifest der Kommunistischen Partei“ (Dezember 1847/Januar 1848) In: Ebenda, Bd. 4, Dietz Verlag, 1977, S. 462.

6 Siehe: Karl Marx „Ökonomische Manuskripte“ (1857/1858) In: Ebenda, Bd. 42, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 392.

7 „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ (1884) In: Ebenda, Bd. 21, Dietz Verlag, Berlin 1962, S. 170.

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