Eine überschätzte Persönlichkeit – Kurt Tucholskys Weltsicht in der Revue
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Kurt Tucholsky ist, bis auf den Namen, heutzutage nicht mehr sehr präsent. Seine Gesamtausgabe wurde laut „Welt“ ziemlich vernachlässigt1, bis zu ihrem Abschluss 2011. Doch das war vor einem halben Jahrhundert noch anders. Walter Ulbricht stellte Kurt Tucholsky auf eine Stufe mit Bert Brecht und Johannes R. Becher in der Bedeutung als Schriftsteller2. Karl-Eduard von Schnitzler schien auch von Kurt Tucholsky viel gehalten zu haben, immerhin reagierte er 1999 als Gast bei der TV-Sendung „Ich stelle mich“ positiv auf das Wort „Sudel-Ede“, womit er antwortete, dass Kurt Tucholsky auch ein „Sudelbuch“ geschrieben hat3. Man kann sich dabei fragen: Wussten sie überhaupt, über wen sie da redeten?
Mir geht es nicht darum, Kurt Tucholskys literarisches Schaffen zu bewerten. Kurt Tucholsky war in Weimar nicht bloß Schriftsteller, sondern auch politischer Publizist und sein Briefwechsel ist ebenfalls erhalten. Kurt Tucholsky war vor dem Ersten Weltkrieg in der SPD aktiv, gegen deren Linie er später polemisierte4, und in der frühen Weimarer Zeit ein paar Jahre lang in der USPD, danach parteilos. Mir geht es also nicht darum ihn fertigzumachen, weil er der KPD-Parteilinie nicht gefolgt ist, das wäre zu viel verlangt und absurd, für ein Nichtmitglied. Es geht mir um seine politische Weltanschauung.
Kurt Tucholskys Kritik an der KPD war teilweise konstruktiv, wie zum Beispiel, als er monierte, dass im Jahre 1931 ein Gedichtband der KPD dadurch weitgehend misslungen ist, dass er „gereimte Parteithesen“ enthalte, statt primär die schwankenden Elemente anzusprechen, um sie auf ihre Seite zu ziehen5. Teilweise gab er sich auch einen marxistischen Anschein in seinen politischen Polemiken, so in seinem „Kurzen Abriß der Nationalökonomie“ aus dem Jahre 1931: „Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben. Das hat mehrere Gründe, die feinsten sind die wissenschaftlichen Gründe, doch können solche durch eine Notverordnung aufgehoben werden.
Über die ältere Nationalökonomie kann man ja nur lachen und dürfen wir selbe daher mit Stillschweigen übergehn. Sie regierte von 715 vor Christo bis zum Jahre nach Marx. Seitdem ist die Frage völlig gelöst: die Leute haben zwar immer noch kein Geld, wissen aber wenigstens, warum.“6 Das ist ein Einstieg in das Thema mit Witz und doch mit gewisser Ernsthaftigkeit dahinter. Das Problem ist, dass darauf bloß ein kleinbürgerlicher Abriss erfolgt in ebenso polemischer Weise, der das Geld, statt das Eigentum an den Produktionsverhältnissen im Mittelpunkt sieht. Und das trotz der Erwähnung von Karl Marx. In einem Brief vom 24. Februar 1934 an seinen Bruder schrieb Kurt Tucholsky: „Ich bin nie ´Marxist´ gewesen.“7 Am 24. November 1934 notierte Tucholsky: „Wie entsetzlich die marxistische Religion verblendet, sieht man immer wieder.“8 In einem Brief an Walter Hasenclever aus dem Jahre 1935 geht Tucholsky sogar so weit zu sagen: „Es wird den Arbeitern erst wieder gut gehen, wenn es keinen Marxismus mehr gibt.“9 Im Widerspruch dazu schrieb er über die politischen Ereignisse um Deutschland am 30. November 1934 nieder: „Ich bin kein eingeschworener Marxist, aber was sich jetzt hier abspielt und abspielen wird, das kann man mit der Elle der materialistischen Geschichtstauffassung messen.“10 Und am 16. November 1935 schrieb er: „Ich bin kein Marxist, aber meine Abneigungen gegen die Luft, die aus Rußland herüberweht, darf mich nicht verleiten, die elementaren Kenntnisse der marxistischen Lehre (anders, als der Meister sie auffaßt) zu bejahen.“11 Tucholsky erklärte, dass er mit der Sowjetunion nur bedingt solidarisch wäre in einem Angriffskrieg gegen sie, nicht bei einem Krieg in Asien, aber dafür in Europa. Das schrieb er in einer Antwort auf eine Frage der „Moskauer Rundschau“ im Jahre 1930, in welcher er auch aussagte: „Immerhin bin ich Schriftsteller und kein ausübender Politiker.“12 Das sollte sich noch ändern in Hetze gegen den Sozialismus in der Sowjetunion. So in einem Brief an Walter Hasenclever aus dem Jahre 1935: „Stalin hat immer nur russische und nichts als russische Politik gemacht, was gewiß kein Vergehen ist. Ein Verbrechen aber ist es, die europäischen Arbeiter diesen russischen Interessen zu opfern, von ihnen zu verlangen, daß sie alle Schwenkungen mitmachten, die gerade in Moskau de rigueur sind, bis zu jenem Zynismus, der sie heute erklären läßt: Nur der ist ein guter Kommunist, der sich nicht als solcher gibt, sondern der wacker sein Jahr abdient, alle Gasschutzübungen mitmacht und überhaupt staatstreu denkt.“13 Mit letzterem Satz meinte Kurt Tucholsky offenbar die Verteidigung der Sowjetunion durch seine Streitkräfte. Natürlich ist ein besserer, ein echter Kommunist jemand, der nicht bloß Phrasen drischt, auch wenn er Parteibuchträger ist, sondern praktisch das sozialistische Vaterland verteidigt und somit überhaupt erst die Möglichkeit des friedlichen Aufbaus nach außen hin, gegen den Imperialismus, sichert, sowie gegen die Konterrevolution von innen. Weiter schreibt Tucholsky, dass die Komintern keine richtige Internationale sei und keinerlei Verwurzelung innerhalb Europas habe14. Zum einen stellt Kurt Tucholsky es so dar, als sei die Komintern bloß „von Moskau gesteuert“, und nicht aus den kommunistischen Parteien der verschiedenen Länder zusammengesetzt, zum anderen ignoriert er, dass der Sozialismus eben Land für Land siegt. Am 7. Oktober 1934 schrieb er an Walter Hasenclever, dass er glaube, die Sowjetunion würde in einem Krieg mit Japan vernichtet werden15. Tucholsky lobte, dass „nicht-russische Kommunisten“ das „Anti-Staatliche“ bewahrt hätten und attackiert die Sowjetunion dafür „autoritär“ zu sein16, womit er die Haltung eines Anarchisten einnimmt. Bekanntlich widerlegte bereits Friedrich Engels die moralische Verurteilung der Autorität an sich durch die Anarchisten anhand der politischen Notwendigkeit des Klassenkampfes gegen die Bourgeoisie17. Den Klassenkampf aber erkannte Tucholsky ohnehin nicht an18, er verstieg sogar soweit ihn als „kommunistische Theologie“19 zu bezeichnen, auch wenn er ihn als „ehrlicher“ ansah, als chauvinistischen Mystizismus20. Offenbar schätzte Tucholsky deshalb den Faschismus nicht als offene, terroristische Diktatur des Großkapitals ein, sondern bloß als „Diktatur des Mittelstandes“21. Damit ist Gerhard Seibels Einschätzung, dass Kurt Tucholsky den Klassenkampf der deutschen Arbeiterklasse unterstützen würde22, inkorrekt. Tucholsky wandte sich zwar gegen Trotzkis „permanente Revolution“, aber auch gegen den Sozialismus in einem Lande: „Eine ´permanente Revolution´, wie sie Trotzki fordert, gibt es nicht und hat es nie gegeben: auf welchem Punkt die da stehen geblieben sind, das mögen sie selbst beurteilen – auf keinen Fall aber bedeutet der Bolschewismus noch eine Weltgefahr, das ist alles Unsinn und schlechtes Gewissen.“23 Das schrieb Tucholsky am 21. August 1935, zur Zeit des VII. Komintern-Kongresses. Kim Il Sung sagte einmal: „Die Kommunisten führen die Revolution nicht mit dem Ziel, bei anderen in der Gunst zu stehen. Unsere Partei schaute nicht erst auf die anderen, sondern zunächst auf unser Volk, unser Land.“24 Die Revolution wird von der kommunistischen Partei nicht deshalb geführt, um bei einem anderen Land gut dazustehen, sondern, weil die Widersprüche des Kapitalismus im eigenen Land diese zur Notwendigkeit machen. Aber das wollte Kurt Tucholsky nicht anerkennen. Den VII. Weltkongress der Komintern schätzte Tucholsky so ein: „Der Kommunismus in Europa ist tot, und man darf sich bei Stalin bedanken, der eine ausgezeichnete russische Politik macht, aber niemals eine Internationale zu dirigieren hat. Diese III. Internationale gibt es nicht mehr: sie ist gestorben.“25 Danach lässt Tucholsky einige negative Bemerkungen über Dimitroff ab. Tucholsky tut so, als hätte man auf dem VII. Weltkongress der Komintern die Revolution an sich verworfen. Offensichtlicherweise urteilte Tucholsky, ohne Dimitroffs Rede gelesen zu haben. Dimitroff äußerte sich schon über solche Vorwürfe am Ende seiner Rede: „Es gibt Neunmalweise, die in alledem eine Abkehr von unseren prinzipiellen Positionen, irgendeine Abschwenkung von der Linie des Bolschewismus wittern. Nun ja, das hungrige Huhn, sagt man bei uns in Bulgarien, träumt immer von Hirse. Mögen sie das glauben, diese politischen Hühner. Uns interessiert dies wenig. Für uns ist es wichtig, daß unsere eigenen Parteien und die breiten Massen der ganzen Welt richtig begreifen, was wir anstreben. Wir wären keine revolutionären Marxisten-Leninisten, würdige Schüler von Marx, Engels und Lenin, wenn wir nicht gemäß der geänderten Lage und den in der internationalen Arbeiterbewegung vor sich gehenden Verschiebungen unsere Politik und Taktik entsprechend umstellten. Wir wären keine wirklichen Revolutionäre, wenn wir nicht aus der eigenen Erfahrung und der Erfahrung der Massen lernten. Wir wollen, daß unsere Parteien in den kapitalistischen Ländern als wirkliche politische Parteien der Arbeiterklasse auftreten und wirken, daß sie tatsächlich die Rolle eines politischen Faktors im Leben ihres Landes spielen, daß sie stets eine aktive bolschewistische Massenpolitik betreiben und sich nicht auf Propaganda und Kritik allein und bloße Aufrufe zum Kampf um die Diktatur des Proletariats beschränken.“26 Außerdem wandte sich Dimitroff gegen die Lüge eines „demokratischen Zwischenstadiums“, das zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Diktatur liegen würde27. Die Volksdemokratie ist auch eine Diktatur des Proletariats. Dimitroff kritisierte, dass man bisher zu wenig Vertrauensarbeit geleistet hat in Kämpfen um Teilforderungen der Werktätigen, und man dort mehr ansetzen muss28, sowie, dass natürlich die Überwindung des Kapitalismus nur revolutionär möglich ist, weil die Bourgeoisie „die Arbeiterbewegung eher in einem Blutmeer ertränken wird, als als daß sie zuläßt, daß das Proletariat den Sozialismus auf friedlichem Wege errichtet.“29, womit er Anbetracht des gescheiterten Reformversuchs in Litauen 1926, sowie der Iran unter Mossadegh 1953 und Chile unter Allende 1973 recht behalten sollte. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach ging es Tucholsky nicht mal darum, ob die Strategie der Komintern praktikabel ist, oder nicht. Zum niedergeschlagenen Aufstand der KP Brasiliens im Spätnovember 1935 notierte Tucholsky: „Man sehe sich das unendliche Unheil an, das die Kommunisten in Brasilien angerichtet haben!“30 Statt sich darüber aufzuregen, dass die Bourgeoisie den Aufstand niederschlug und somit die Befreiung der Werktätigen Brasiliens verhinderte, hetzte er gegen ihren Revolutionsversuch. Damit vertrat er eine eindeutige konterrevolutionäre Haltung. Doch selbst von der Bourgeoisie per bedingungsloser Kapitulation geschenkt, wollte Kurt Tucholsky den Sozialismus nicht haben, denn er wollte ihn gar nicht haben. Aus einem Brief an Walter Hasenclever vom 10. Februar 1935: „Je eher das, was man heute Sozialismus nennt, untergeht, desto besser – sein Grundsatz ist sowieso falsch, das haben gerade wir immer gewußt.“31 Konterrevolutionäre, reaktionäre Positionen gepaart mit Rechthaberei – so sieht Kurt Tucholskys politisches Denken aus!
Gerhard Seidel, der ein Nachwort zu einem Sammelband von Kurt Tucholskys Literaturkritiken verfasste, der im Aufbau-Verlag erschien, wollte in Tucholsky dies erkennen: „Kurt Tucholsky war ein parteilicher Kritiker, und er war ein redlicher Kritiker.“32 Wie kann man das über jemanden schreiben, dessen Standpunkt war: „Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, daß Du den Kommunisten aus dem Wege gehen sollst. Ich habe dieser Partei nie angehört, stets hat mich ein Mißtrauen abgehalten, mitzumachen, und mein Instinkt hat recht behalten. Es gibt nur noch einen Burschen, der seine Anhänger so schamlos verrät wie Stalin – und das ist der Papst.“33? Doch was sollte Stalin tun? In alle Länder einmarschieren und militärisch verlieren, a la Trotzkis „permanente Revolution“? Aber nicht einmal das wollte Kurt Tucholsky. Also was dann? Er war nicht in der Lage zu sehen, dass jede kommunistische Partei die Revolution im eigenen Lande zu organisieren hat und nicht andere Länder statt ihnen. Immerhin bescheinigt Seidel Tucholsky eine „pessimistische philosophische Grundauffassung“34, und das zurecht, aber nennt das Kind beim Namen seines kleinen Bruders, statt beim richtigen Namen: Kapitulantentum. Da das Kapitulantentum nicht bloß pessimistisch im Denken, sondern auch in der Tat ist, ist es eine konterrevolutionäre Denkweise. Man kann sehr wohl pessimistisch im Denken und optimistisch in der Tat sein, womit man die Niederlage einkalkuliert im Kopf, aber im Tun mit dem Erfolg rechnet. Aber Kurt Tucholsky suchte lieber die „Isolation“, statt „auf Kommunist umzulernen“35 und stellte sich nicht der Bourgeoisie entgegen für die Arbeiterklasse, sondern führte einen Kampf wie Don Quichotte gegen alles und jeden. Über die politische Arbeit der KPD schrieb er am 20. April 1933: „Die KPD hat in Deutschland von vorn bis hinten dummes Zeug gemacht.“36 Und sich selbst bescheinigt er, dass seine „Voraussagen eingetroffen“ seien, während die „Rote Fahne“ der KPD völlig unrecht gehabt hätte37. Die SPD-Führung kommt aber keineswegs besser weg bei Tucholsky: „Dazu war Stampfer einer der schlimmsten Hilferdinge: allemal applanieren, übertünchen, sie Sau-Politik der Partei schlecht entschuldigen…“38 Er äußerte dies im Kontext der Berichte des „Vorwärts“, dem SPD-Zentralorgan. Natürlich war diese Kritik berechtigt, aber da er beide Seiten delegitimiert, stand er praktisch für einen „dritten Weg“ ein – weder Reform noch Revolution. Die Konflikte zwischen KPD und SPD schob er auf die „Parteiapparate“, nicht auf Inhalte39. Aber nicht nur in Parteifragen war Tucholsky so. Tucholsky lehnte den Idealismus genauso ab, wie den „reinen Materialismus“40, womit er sich auf die Position des Agnostizismus, des „verschämten Materialismus“41, wie Engels ihn nannte, begab. Am 25. März 1932 schrieb Tucholsky außerdem an Ossietzky, dass man in der „Weltbühne“ Brecht nicht loben dürfte42 und schätzte ihn so ein: „Nicht nur ein kleiner Plagiator – der Mann ist unecht.“43 Mit „Plagiator“ spielt Tucholsky darauf an, dass Werke wie die „Dreigroschenoper“ und „Der Jasager“ sich an ausländischen Literaturvorbildern orientierten, ohne jedoch eine direkte Übersetzung zu sein. Warum er Brecht „unecht“ nannte, das erschließt sich mir nicht. Aber Bert Brecht, den Tucholsky aus irgendwelchen Gründen negativ einschätzte, war ihm selbst in vielerlei Hinsicht voraus, nicht bloß in der Tatsache, dass er Marxist war, während Tucholsky gerne so tat, als ob, ohne es zu sein. Tucholsky ergoss sich einst: „Moskau und Chicago sind nur zwei Seiten der gleichen Medaille.“44 Ohne das „nur“ hätte man Tucholsky Dialektik andichten können, weil es danach klingen würde, dass er sie als eine Einheit der Gegensätze und somit als Kontrahenten darstellen wollte. Da er aber gegen beide Seiten hetzte, wollte er damit nur dem Kapitalismus und Sozialismus andichten das gleiche zu sein, wie es die Nazis ebenfalls taten. Wie man bereits ersehen konnte, gilt Tucholskys Angriff gegen die Sowjetunion ihrer „Autorität“, womit er vorwirft, die Sowjetunion sei sozusagen „nicht frei“. Bert Brecht polemisierte gegen solche Ansichten „linker“ Intellektueller, die sich gegen den Kapitalismus aussprachen, aber genauso gegen den Sozialismus45. Brecht schrieb: „Man kann nicht sagen: In dem Arbeiterstaat Rußland herrscht die Freiheit. Aber man kann sagen: Dort herrscht die Befreiung.“46 Diese Unterscheidung ist keine Wortklauberei, sondern negiert die bürgerliche „absolute Freiheit“ und präzisiert sie auf die Befreiung der Arbeiterklasse, die Freiheit der Arbeiterklasse über die Bourgeoisie. Da für Tucholsky der Klassenkampf geistig nicht existierte, konnte er diesen entscheidenden Unterschied in der Klassenherrschaft auch nicht erkennen. Kurt Tucholsky war natürlich auch gegen die in der Sowjetunion stattfinden Prozesse gegen Konterrevolutionäre47. Brecht hingegen erkannte an, dass man Konterrevolutionäre verurteilte, die den Kapitalismus restauriert hätten48. Tucholsky war aufgrund seiner Blindheit gegenüber dem Klassenkampf farbenblind gegenüber den politischen Vorgängen. Von wegen, beide würden in der gleichen Liga spielen!
Bert Brecht war ein parteilicher Kritiker auf der Seite des Proletariats, auch gegenüber Fehlern der sozialistischen Staaten, ob der Sowjetunion oder später der DDR, was ihn in nichts von seiner marxistischen Weltanschauung abbrachte. Kurt Tucholsky hingegen war eher der Typus eines Marodeurs, der wahllos mal diesen, mal jenen attackierte, ohne für irgendetwas einzustehen, außer seiner eigenen Rechthaberei.
Kurt Tucholsky wetterte gegen die Sowjetunion, das zu seinen Lebzeiten einzige sozialistische Land, abgesehen von Tuwa und der Mongolei, nicht minder stark, als gegen die kapitalistischen Länder, begab sich somit auf einen „dritten Weg“, der praktisch darin bestand, den Status quo zu behalten und es nicht einmal zu versuchen, etwas Besseres zu erringen und selbst aktiv mitzuschaffen. Kurt Tucholskys einziger politischer Wert besteht darin, ein Negativbeispiel, einen gegen alles und jeden meckernden Kapitulanten, der sich selbst stets im Recht sieht, obwohl er immer tiefer in die Gewässer des Klassenverrats sich versteigt und uns Mahnung zu sein, nicht so zu sein wie er, sondern zu kämpfen für die gerechte Gesellschaftsordnung des Sozialismus. Dass Tucholskys Werke heute wie Blei in den Regalen liegen und außer seinem Namen von ihm praktisch nichts übrig geblieben ist, ist seinem politischen „Rundumschlag“ und seiner Oberflächlichkeit verschuldet. Für die Bourgeoisie ist er aufgrund seiner Kritik am kapitalistischen System, sei sie noch so kleinbürgerlich-unvollständig, unbrauchbar und für uns Marxisten ist er unbrauchbar, weil er genauso antisozialistisch war. Von ihm werden ein paar polemische Sprüche bleiben, denn Witz und Biss hatte er allemal, aber nichts tiefergehendes, denn wo nichts ist, ist auch nichts. Auf Tucholsky trifft das zu, was schon Friedrich Schiller am 4. August 1795 über die Philosophie von Gottlieb Fichte schrieb: „Daß aber in 100 oder 200 Jahren, wenn neue Revolutionen über das Philosophische Denken ergangen sind, Ihre Schriften zwar citiert und ihrem Wert nach geschätzt, aber nicht mehr gelesen werden.“49 Kurt Tucholskys trauriges Schicksal ist es also, nach seinem physischen Tod nochmal zu sterben.
„Nichts ist für dich,
Nichts war für dich,
Nichts bleibt für dich,
Für immer.“50
2Vgl. Walter Ulbricht „Der offene Brief des ZK der SED und die Antwort der SPD“ (27./28. April 1966) In: „Zum Meinungsaustausch zwischen SED und SPD“, Dietz Verlag, Berlin 1966, S. 17.
3https://www.youtube.com/watch?v=PZFSUReZJAM Nach 20:50.
4http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1930/Ein+%C3%A4lterer,+aber+leicht+besoffener+Herr
6http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1931/Kurzer+Abri%C3%9F+der+National%C3%B6konomie
7Brief an Fritz Tucholsky (24. Februar 1934) In: Kurt Tucholsky „Politische Briefe“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 101.
8„Q-Tagebuch – qnterbunt“ (24. November 1934) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 397.
9„An Walter Hasenclever“ (1935) In: Ebenda, S. 513.
10„Q-Tagebuch – für die liebe Nuna bei Qfstein“ (30. November 1934) In: Ebenda, S. 402.
11„Q-Tagebuch – und Qddelmuddel für Nuna“ (16. November 1935) In: Ebenda, S. 545/546.
12http://www.zeno.org/Literatur/M/Tucholsky,+Kurt/Werke/1930/Wie+w%C3%BCrden+Sie+sich+im+Falle+eines+Krieges+gegen+die+UdSSR+verhalten%EF%BC%9F
13„An Walter Hasenclever“ (1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 512.
14Vgl. Ebenda.
15Siehe: „An Walter Hasenclever“ (7. Oktober 1934) In: Ebenda, S. 379.
16Vgl. „Q-Tagebuch – für Nuuna aus Qstarica“ (24. April 1935) In: Ebenda, S. 484.
17Siehe: Friedrich Engels „Von der Autorität“ (Oktober 1872/März 1873) In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 18, Dietz Verlag, Berlin 1976, S. 305 ff.
18Siehe bspw.: „An Hedwig Müller“ (21. August 1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 518 und „Golozzales General-Tage-Buch“ (22. September 1935) In: Ebenda, S. 526. In letzterem Brief erkannte Tucholsky Streiks nicht als Ausdruck des Klassenkampfes an, sondern lediglich als „Zunftgeist von Kleinbürgern“.
19„B. Traven“ (1930) In: Kurt Tucholsky „Mit 5PS durch die Literatur“, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1978, S. 114.
20Vgl. „Ein besserer Herr“ (1929) In: Ebenda, S. 359.
21„An Walter Hasenclever“ (11. April 1933) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 298.
22Siehe: Gerhard Seidel „Nachwort“ In: Kurt Tucholsky „Mit 5PS durch die Literatur“, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1978, S. 495.
23„An Hedwig Müller“ (21. August 1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 517.
24„Einige Aufgaben des Bezirks Süd-Hamgjong“ (2. September 1960) In: Kim Il Sung „Werke“, Bd. 14, Verlag für fremdsprachige Literatur, Pjongjang 1983, S. 322.
25„An Hedwig Müller“ (24. August 1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 518.
26„Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus“ (2. August 1935) In: Georgi Dimitroff „Ausgewählte Schriften“, Bd. 2, Dietz Verlag, Berlin 1958, S. 622/623.
27Vgl. Ebenda, S. 603.
28Vgl. Ebenda, S. 615.
29Ebenda, S. 620.
30„Ober-General-Sanktions-Wildleder-Edel-Tagebuch – ge4t 4 die 1ige Nuna“ (17. Dezember 1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 581.
31Brief an Walter Hasenclever (10. Februar 1935) In: Kurt Tucholsky „Politische Briefe“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 63.
32Gerhard Seidel „Nachwort“ In: Kurt Tucholsky „Mit 5PS durch die Literatur“, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1978, S. 496.
33„An Fritz Tucholsky“ (5. Dezember 1935) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 565.
34Gerhard Seidel „Nachwort“ In: Kurt Tucholsky „Mit 5PS durch die Literatur“, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1978, S. 485.
35Vgl. „An Sibylle Schoepf-Witting“ (25. Juni 1925) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 155.
36„An Heinz Pol“ (20. April 1933) In: Ebenda, S. 303.
37Vgl. Ebenda.
38„Q-Tagebuch – und Qddelmuddel für Nuna“ (16. November 1935) In: Ebenda, S. 544.
39Siehe: Brief an Fritz Tucholsky (18. Januar 1931) In: Kurt Tucholsky „Politische Briefe“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 95.
40Vgl. Brief an Fritz Tucholsky (24. Februar 1934) In: Ebenda, S. 101.
41Friedrich Engels „Einleitung (zur englischen Ausgabe (1892) der ´Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft´)“ In: Karl Marx/Friedrich Engels „Werke“, Bd. 22, Dietz Verlag, Berlin 1977, S. 295.
42Vgl. „An Carl von Ossietzky“ (25. März 1932) In: Ebenda, S. 272.
43Ebenda, S. 273.
44Brief an Walter Hasenclever (10. Februar 1935) In: Kurt Tucholsky „Politische Briefe“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 63.
45Siehe: „[Über die Freiheit in der Sowjetunion]“ In: Bertolt Brecht „Schriften zur Politik und Gesellschaft 1919 – 1956“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1974, S. 104 f.
46„Über die Diktaturen einzelner Menschen“ In: Ebenda, S. 103.
47Siehe: „An Heinz Pol“ (20. April 1933) In: Kurt Tucholsky „Briefe – Auswahl 1913 – 1935“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1983, S. 303.
48Siehe: „[Über die Moskauer Prozesse]“ In: Bertolt Brecht „Schriften zur Politik und Gesellschaft 1919 – 1956“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1974, S. 111 ff.
49https://www.friedrich-schiller-archiv.de/briefe-schillers/an-gottlieb-fichte/schiller-an-gottlieb-fichte-3-august-1795/
50„Adios“ aus dem Album „Mutter“ (2001) von Rammstein.