Eine Genossenschaft wird vorgestellt – Entwicklungen auf einem ugandischen Dorf

Zählt denn noch Schmerz und Beschwerde,

Wenn uns das Gute gelingt,

Wenn man den Ärmsten der Erde,

Freiheit und Frieden erzwingt?“1 – Louis Fürnberg

In meinem letzten Uganda-Artikel habe ich die Lage in einem Dorf nahe Kamuli beschrieben. Im vergangenen Jahr herrschte Lethargie auf dem Dorf vor, da die Aufkaufpreise für die landwirtschaftlichen Produkte sehr gering gewesen sind2. Es war ihnen nicht möglich, aus eigener Kraft genug Mittel zu akkumulieren, um eine grundlegende Investition zu tätigen. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“3, heißt es in der Bibel.

Aus diesem Grund finanzierte unsere Familie ihnen ein Tuktuk. Die Auflage war, dass im Gegenzug für das Tuktuk 5% der Einnahmen gespart werden. Beim Kassensturz stellte sich heraus, dass 306.200Sh (76,55€) gesammelt worden sind. Ob diese Summe tatsächlich exakt 5% darstellen, wussten sie selbst nicht, da sie sich bisher nicht die Mühe machten, Buch zu führen. Nimmt man aber der Einfachheit halber an, dass es sich dabei um diese 5% handelt, müssten um die 6 Millionen Schilling (1.500€) eingenommen worden sein. Völlig unwahrscheinlich erscheint diese Summe nicht Anbetracht der gestiegenen Einnahmen und der Tatsache, dass der Bauernhof nicht nur seit Ende letzten Jahres einen Stromanschluss besitzt, sondern sogar das Geld für einen Kühlschrank im Neuzustand da gewesen ist. Dieser kostete 460.000 Schilling (115€). Nun aber einige Details zur Lage im Ort bezüglich des Einzelhandels.

Im Dorfzentrum selbst gibt es viel Verkaufsfläche, aber nur die Hälfte der Läden wird tatsächlich betrieben. Trotz der geringen Größe der Ortschaft gibt es zwar nur einen kleinen Friseur und zwei kioskartige Gemischtwarenläden, dafür aber zwei Kneipen – eine große und eine kleine. Dazu kommen noch weitere Läden wie etwa eine Schneiderin und einen Imbissstand für Chapati sowie ein Kino in einem heruntergekommenen, abgedunkelten Gebäude. Man sagte mir, dass dort Filme abgespielt werden würden, aber vor allem kämen die Leute dort hin um Fußball auf einer großen Leinwand zu schauen. Alkoholsucht ist in Uganda ein großes Problem, wie letztes Jahr bereits erwähnt. Auch auf dem Lande besteht es. Ein junger Mann mit einer leeren Schnapsflasche bettelte uns auf dem Hauptplatz des Dorfes um Alkohol an. Das Christentum verbietet eigentlich die Trunksucht4, aber das wiegt die allgemeine Perspektivlosigkeit für viele nicht auf. Es gibt im Dorf etwas außerhalb gelegen ein großes Gelände der anglikanischen Kirche, auf welcher nicht bloß das Kirchengebäude steht, sondern auch eine Grundschule. Diese besitzt derzeit etwa 180 Schüler. Junge Einheimische erzählten mir, dass sie diese Schule vor Jahren besucht haben und diese damals um die 600 Schüler besaß. Auf diese Schülerzahlen ist sie auch meines Erachtens ausgelegt, denn die Klassenräume waren sehr geräumig und es fanden sich überraschend wenig Schüler in den Klassen. Man merkt, dass es sich um eine dörfliche Schule handelt, da die Gebühren teilweise in Sachleistungen abverlangt werden. So sind neben den in Geld zu entrichtenden Gebühren 3kg Bohnen und 20kg Mais pro Term (das sind vier Monate) für die Verpflegung mitzubringen. Es ist möglich, stattdessen die Verpflegung ebenfalls in Geld zu bezahlen, aber da nicht einmal eine konkrete Summe auf der Berechnung steht und Anbetracht dessen, dass auf diese Schule praktisch nur Bauernkinder gehen, ist es fragwürdig, ob überhaupt jemand diese Naturalleistung ersatzweise in Geld ableistet. Die ansässige staatliche Grundschule soll in den Gebühren günstiger sein als die anglikanische Schule, dafür aber schlechter ausgestattet sein. Abgesehen davon besteht das Dorf aus einem verzweigten labyrinthartigen Straßennetz, das an einzelnen Gehöften vorbeiführt, um die sich die dazugehörigen Felder in unmittelbarer Nähe befinden. Abgesehen vom Dorfzentrum ist das Dorf also eine Streusiedlung.

Artikel 29 Absatz 1 der ugandischen Verfassung gewährt das Recht der Gründung von Assoziationen und Organisationen. Genau das haben die Bauern des Dorfes getan: Sie haben sich in einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Um die 35 Familienoberhäupter trafen sich am Sonntag, den 11. August 2024 zusammen, um die Genossenschaft offiziell zu gründen. Die Genossenschaft soll langfristig bessere Preise, eine gewisse kollektive Infrastruktur und gegenseitige Hilfe sicherstellen.

Auch preislich hat sich etwas verändert.

Die Einkaufspreise der Aufkäufer sehen wie folgt aus:

Erzeugnis Preis
Kaffee 700Sh (17,5 Cent) pro kg
Mais 500Sh (12,5 Cent) pro kg
Reis 1.500Sh (37,5 Cent) pro kg
Bohnen 1.500Sh (37,5 Cent) pro kg
Kochbananen 5.000Sh (1,25€) pro Bündel
Cassava (Maniok) 20.000Sh (5€) pro Sack
Süßkartoffeln 20.000Sh (5€) pro Sack

Die Verkaufspreise an die städtischen Zwischenhändler sehen wie folgt aus:

Erzeugnis Preis
Kaffee 2.000Sh (0,50€) pro kg
Mais 800Sh (0,20€) pro kg
Reis 2.000Sh (0,50€) pro kg
Bohnen 2.000Sh (0,50€) pro kg
Kochbananen 10.000Sh (2,50€) pro Bündel
Cassava (Maniok) 35.000Sh (8,75€) pro Sack
Süßkartoffeln 40.000Sh (10€) pro Sack

Dazu kommen noch einige weitere Feldfrüchte, die aber nicht in größeren Mengen produziert werden. Darunter Kakao und Austernnüsse. Austernnüsse sehen wie freihängende Kakaofrüchte aus, sind aber gefüllt mit großen, flachen Samen. Fünf Samen werden für 1.000Sh (0,25€) verkauft. Kakao wird für 2.000Sh (0,50€) pro kg von Aufkäufern angekauft; in der Stadt bekommt man dafür 4.000Sh (1€).

In der Gegend um Luweero bekommt man für 1kg Rohkaffee sogar 2.500Sh (62,5Ct) in der Stadt. Man muss dabei jedoch bedenken, dass sich diese Stadt in unmittelbarer Nähe von Kampala befindet. Je weiter weg sich der Ort der Endverarbeitung befindet, umso geringer fällt der Preis aus. Das liegt an den Transportkosten.

Konventionelle Landwirtschaft ist oft nicht rentabel. Im September 2023 sanken die Aufkaufpreise für konventionell produzierten Tee in Uganda von vormals 560Sh (0,14€) auf 200Sh (0,05€). Das sind ruinöse Preise, wenn man bedenkt, dass Düngemittel, Pestizide und Arbeitskraft davon bezahlt werden muss5. Und dabei ist von den negativen Auswirkungen auf die Umwelt noch keine Rede.

Aus diesem Grund ist geplant, die Genossenschaft langfristig biologisch zu zertifizieren. Die Bauern des Dorfes sind ohnehin zu arm, als dass sie sich Kunstdünger und Pestizide leisten könnten und, wie aufgezeigt, ist konventionelle Landwirtschaft kein langfristig gesichertes Geschäftsmodell. Die Bio-Zertifikation würde aus Rückständigkeit eine Stärke machen. Problem ist lediglich, dass ohne Zertifikation trotz der Erfüllung der Bedingungen für die biologische Produktion die landwirtschaftlichen Produkte als konventionelle Erzeugnisse gelten.

Die Bauern fragten auch explizit bei der Gründungsversammlung danach, ob wir beim Kaffeeexport behilflich sein könnten. Wir machten ihnen klar, dass dies nur möglich sei bei zertifizierter Bio-Produktion, da sie auf dem konventionellen Kaffeemarkt, an dem sie via Zwischenhändler faktisch teilnehmen, keine Chance haben werden, bessere Preise zu bekommen. Die Bio-Zertifizierung ist ein langfristiges Ziel.

Langfristig soll auch ein Krankenfond halten, der in Kooperation mit dem katholischen Mission Hospital in Kamuli eingerichtet wird. Es handelt sich dabei im Prinzip um eine private Krankenversicherung, in welche wir 2.000€ zu Beginn einzahlen, die sich langfristig durch Gebühren der Genossenschaftsmitglieder selbst tragen soll. Der monatliche Genossenschaftsmitgliedsbeitrag beträgt 4.000Sh (1€); wie hoch der Beitrag zum Krankenfond sein muss, damit er sich trägt, ist noch unklar.

Abgesehen davon gibt es auch kurz- und mittelfristige Ziele.

Rehema Namyalo, die Heilkräuterexpertin aus Masaka, über die ich letztes Jahr berichtete, führte vor den Genossenschaftsmitgliedern sowie einigen weiteren Interessenten aus dem Dorf einen Workshop durch, der den Schwerpunkt darin hatte, Artemisia im Dorf einzuführen als Heilpflanze gegen Malaria (sie hatte auch Artemisiatee gekocht und zur Verkostung gegeben), aber auch einen allgemeinen Abriss über verbreitete Heilpflanzen lieferte. Viele Bauern entfernten zuvor Heilpflanzen als „Unkraut“ oder ihnen war nicht bewusst, dass man von einigen Pflanzen mehrere Bestandteile verwenden konnte, die heilsame Wirkungen besitzen. Dies ist ein kurzfristiges Ziel, denn Artemisia ist leicht zu vermehren, und die anderen Pflanzen, über die sie sprach, gibt es zumeist bereits im Dorf.

Ein weiteres kurzfristiges Ziel ist es, die Wasserversorgung durch die Anschaffung eines Bollerwagens zu verbessern. Im Dorf gibt es kein fließendes Wasser. Stattdessen gibt es einen Dorfbrunnen mit einem Chlorspender zur Desinfektion des Wassers, der bei unserer Inspektion leer war. Derzeit schleppen die Dorfbewohner ihre Wasserkanister oft über Kilometer hinweg in ihren Händen, teilweise sogar die Kinder. Aus diesem Grund gaben wir den Bau eines Bollerwagens bei den Schreinern von Don Bosco in Auftrag, der 198.000Sh (49,50€) kostet. Das wird zwar die Situation der Wasserversorgung nicht grundsätzlich bessern – es bleibt dasselbe Brunnenwasser – aber es wird den Transport erleichtern.

Mittelfristig ist vorgesehen, dass einer der jüngeren Bauern aus dem Dorf landwirtschaftliche Schulung erhält. Auf Nachfrage wurde uns bestätigt, dass keiner der Bauern des Dorfes eine Ausbildung zum Landwirt durchlaufen hat. An der katholischen Berufsschule Don Bosco in Kamuli ist dies möglich. Es gibt zwei Optionen: Eine einjährige Skill-Ausbildung für insgesamt 2.231.000Sh (557,75€), für die man die siebenjährige Grundschule durchlaufen haben muss und eine zweijährige Diplom-Ausbildung für insgesamt um die 4,5 Millionen Sh (etwa 1.125€), für die man die Sekundarschule abgeschlossen haben muss. Die zweijährige Ausbildung kostet so viel wie ein Studium, wird aber auch wie ein Studium anerkannt (deshalb das Diplom). Ansonsten bildet die Don-Bosco-Berufsschule auch Friseure, Schreiner, Schweißer, Klempner, Caterer, Schneider, Bauarbeiter, Elektriker und Kfz-Mechaniker in ihrer German Garage aus. Mehr als die Hälfte der Klempner-Azubis bei Don Bosco sind Frauen. Unser Plan ist es, einem Jungbauern eine Diplom-Ausbildung zu ermöglichen, damit die Genossenschaft einen gelernten Fachmann für Agrarfragen besitzt.

Eine Genossenschaft ist letztlich eine sozialistische Eigentumsform. Die Genossenschaft auf dem Dorf besteht unter kapitalistischen Bedingungen, kann somit nicht das volle Potenzial entfalten. Dennoch kann sie dazu beitragen, das Leben der werktätigen Bauern des Dorfes zu verbessern. Man kann den Kapitalismus nicht durch die Gründung von Genossenschaften wegreformieren. Eduard Bernstein sah in den Genossenschaften einen Weg für die Arbeiter6, was inkorrekt war, da man für eine Genossenschaft eben Leute benötigt, die kleines Privateigentum miteinbringen können. Für die Bauernschaft und das Kleinbürgertum hingegen ist das ein passender Weg. Deshalb konzentrierte Obote sich wirtschaftlich auf den Aufbau einer staatlichen Industrie und Genossenschaften in der Landwirtschaft und sogar in der Stadt. Unter der zweiten Obote-Regierung gab es sogar Autowäschergenossenschaften7! Eine Genossenschaft zu gründen ist also durchaus auch im Sinne von Obote.

Milton Obote sagte einmal, dass Uganda diese drei Hauptfeinde habe: Armut, Ignoranz und Krankheit8. Letztlich haben die Maßnahmen, die wir mit den Genossenschaftsbauern des Dorfes unternommen haben, etwas in diese Richtung bewirkt. Die Lebenshaltung hat sich durch die besseren Preise gebessert, die Armut wurde also geringer. Die Ignoranz wurde geringer gegenüber den Heilpflanzen, die sie bei sich auf den Höfen haben. Krankheit wird dadurch ebenfalls bekämpft, wie auch durch die Einführung von Artemisia zur Malariabekämpfung und der Einrichtung eines Krankenfonds. Diese Schritte mögen im nationalen Maßstab Ugandas zwar nur Kinderschuhgröße haben, aber ein jeder Schritt voran, und sei er noch so klein, wirkt sich auch auf das Ganze aus.

Die ersten Schritte sind getan, schauen wir also, wie sich die Genossenschaft und das Leben der Bauernschaft in Zukunft entwickeln wird.

1 „Lied der Partei“ (1949)

3 Lukas 12, 48.

4 Siehe: Galater 5, 21.

5 Vgl. The Cooperator vom November 2023, S. 4, Englisch.

6 Vgl. Eduard Bernstein „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1969, S. 146.

7 Siehe: F. Kefa Sempangi „Rückkehr zur Menschlichkeit“, Felsen-Verlag, Friedrichsdorf 1986, S. 93.

8 https://www.youtube.com/watch?v=jfxxUB_BeL8 (Englisch) 3:26

Der kenianische Sozialist Tom Mboya zählte diese Punkte auch auf in einer Rede aus dem Jahre 1959. Siehe: „African Freedom“ (15. April 1959) In: Tom Mboya „The Challenge of Nationhood“, Praeger Publishers, New York/Washington 1970, S. 134, Englisch.

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