Die Zwei-Lager-Theorie – Ein richtiger Ansatz oder ein falsches Schema?

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Wie der Titel bereits erahnen lässt, möchte ich eine Einschätzung der Zwei-Lager-Theorie Shdanows darlegen, die er im September 1947 formulierte1. Man mag sich die berechtigte Frage stellen: Hat das noch heute Relevanz? Für die Renegaten der Komintern (SH) jedenfalls schon, denn bei ihnen besitzt alles eine Relevanz, wo sie sich drauf verleumderisch stürzen können2. Aber natürlich sind diese nicht der Grund, warum mich diese Frage beschäftigt. Es geht mir um die außenpolitischen Konsequenzen dieser Theorie. Außerdem: Anbetracht dessen, dass manche Genossen der Meinung sind, man müsse jeder imperialistischen Bourgeoisie gleichermaßen gegenüberstehen in jeder Situation, macht es diese Frage relevant. Es ist der Widerspruch zwischen den Werktätigen auf der einen Seite und den Ausbeutern auf der anderen Seite, mit dem Antagonismus von Proletariat und Bourgeoisie als Primärwiderspruch. Das Proletariat mag zwar derzeitig nicht wie 1947 einen Staatenblock bilden, der einem imperialistischen Block gegenübersteht, ist aber dennoch ein Teilnehmer auf der außenpolitischen Bühne des Weltgeschehens. Das Kernproblem ist hierbei, dass man zwar den Primärwiderspruch erkennt, aber durch diesen weitere Widersprüche innerhalb dieser Blöcke ausschließt. Aber alles der Reihe nach.

Also: Wie definierte Shdanow die zwei Lager? Shdanow sagte, es bestünde „das imperialistische und antidemokratische Lager einerseits und das antiimperialistische und demokratische Lager andererseits.“3 Ersteres sei von den USA angeführt und bestünde aus den imperialistischen Ländern, letzteres sei von der Sowjetunion angeführt und würde die neudemokratischen, also volksdemokratischen, Länder umfassen4. Außerdem bezeichnet Shdanow beide als „Hauptlager“, womit die Frage offen bleibt, ob daneben noch ein bestehen von Blöcken möglich wäre. Diese Theorie war keineswegs eine Eintagsfliege, wie man beispielsweise daran ersehen kann, dass Malenkow in seinem Rechenschaftsbericht an den XIX. Parteitag der KPdSU im Oktober 1952 Bezug nimmt auf diese Theorie5. In anderen Ländern wurde sie auch anerkannt, selbst in den imperialistischen Ländern.

Die Zwei-Lager-Theorie mag zwar nach 1945 aufgestellt worden sein und mit dem Kalten Krieg zwischen USA und UdSSR im direkten Zusammenhang stehen, aber das heißt nicht, dass sie auch dort ihre Anfänge hätte. Das „Time Magazine“ veröffentlichte im Jahre 1950 eine Karte unter dem Titel „Zwei Welten“6, welche diese zwei Lager ebenfalls widerspiegelt. Shdanow behauptete, diese Lage sei nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstanden. Das ist so nicht richtig. Im Jahre 1952 schrieb Stalin: „Man sagt, daß die Gegensätze zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus stärker sind als die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Ländern. Theoretisch ist das natürlich richtig. Das ist nicht nur jetzt, in der gegenwärtigen Zeit, richtig, das war auch vor dem Zweiten Weltkrieg richtig. Und dessen waren sich die Machthaber der kapitalistischen Länder mehr oder weniger bewußt. Und dennoch begann der zweite Weltkrieg nicht mit einem Krieg gegen die UdSSR, sondern mit dem Krieg zwischen den kapitalistischen Ländern. Warum? Erstens, weil ein Krieg gegen die UdSSR, als das Land des Sozialismus, für den Kapitalismus gefährlicher ist als ein Krieg zwischen den kapitalistischen Ländern, denn wenn es bei einem Krieg zwischen den kapitalistischen Ländern nur um die Frage der Vorherrschaft dieser oder jener kapitalistischen Länder über andere kapitalistische Länder geht, so muß ein Krieg gegen die UdSSR unbedingt die Frage der Existenz des Kapitalismus selbst aufwerfen. Zweitens, weil die Kapitalisten, obwohl sie zum Zwecke der ´Propaganda´ über eine Aggressivität der Sowjetunion zetern, selbst nicht an solche Aggressivität glauben, da sie der Friedenspolitik der Sowjetunion Rechnung tragen und wissen, daß die Sowjetunion die kapitalistischen Länder nicht von sich aus angreifen wird.“7 Schon vor 1945 bestand ein kapitalistisches Lager, das dem sozialistischen Lager gegenüberstand. Die Sowjetunion hatte als ein Land bereits Blockgröße, abgesehen davon, dass es ein Staatenbund war und nebenher die Mongolische Volksrepublik noch bestand. Dass sozialistische Länder außenpolitisch nicht aggressiv sind, weil es ihnen nicht nützlich ist, im Gegensatz zu den imperialistischen Ländern, die ihren Einflussbereich ausweiten nach dem Motto „Grenzen, welche die Waren nicht überschreiten können, werden von den Heeren überschritten.“8, dürfte man vom Leser als Grundkenntnis abverlangen dürfen. Zur Herausbildung zweier Lager aufgrund verschiedener Gesellschaftssysteme sagte Mao Tsetung bereits am 14. September 1939: „Die Bourgeoisien der sogenannten demokratischen Länder fürchten auf der einen Seite, dass die faschistischen Länder vielleicht ihre Interessen gefährden könnten; aber sie fürchten die Entwicklung der revolutionären Kräfte noch mehr. Sie fürchten die Sowjetunion, sie fürchten die revolutionären Bewegungen in den Kolonien und Semikolonien.“9 Am 28. September 1939 machte Mao klar, dass die Sowjetunion versuchte den Frieden zu bewahren und den Nichtangriffspakt mit Nazideutschland nur deshalb abschloss, weil Chamberlain und Daladier es ablehnten, einen Vertrag über kollektive Sicherheit mit der Sowjetunion abzuschließen. Mao erkannte, dass die westlichen Imperialisten versuchten, Nazideutschland zu einem sofortigen Krieg gegen die Sowjetunion zu bewegen, dies aber misslang10. Damit gab es im imperialistischen Lager selbst zwei konkurrierende Blöcke. Stalin wollte auf dieses Beispiel hinaus und machte klar, dass das jederzeit wieder passieren kann. In den 60er Jahren trat Frankreich unter de Gaulle aus der NATO aus und versuchte, eine eigenständige außenpolitische Linie zu etablieren. In der heutigen Zeit stehen sich die NATO-Länder um die USA Russland und China, sowie deren Anhang, gegenüber. Das einzige, was heute fehlt, ist ein sozialistisches Lager.

Eine Analogie der Zwei-Lager-Theorie zur Drei-Welten-Theorie Deng Hsiaopings ist unpassend, da Imperialismus und Sozialismus aufeinandertreffen und die Zwischenzonen kein Lager für sich ist, sondern eher die Widersprüche in den zwei Lagern selbst abbilden. So wie Zwitter kein „drittes Geschlecht“ neben Mann und Frau bilden, so gibt es auch keine eigenständige „dritte Welt“ oder ein „drittes Lager“. Mao Tsetung sah die Zwischenzonen folgendermaßen: Die Völker von ganz Asien, Afrika und Lateinamerika sind alle gegen den amerikanischen Imperialismus. In Europa, Nordamerika und Ozeanien gibt es auch sehr viele, die gegen den (amerikanischen) Imperialismus sind. Imperialisten wenden sich auch gegen den (amerikanischen) Imperialismus. Wenn de Gaulle sich gegen Amerika wendet, so ist das ein Beweis dafür. Wir vertreten jetzt eine solche Ansicht, nämlich die zwei Zwischenzonen. Asien, Afrika und Lateinamerika sind die erste Zwischenzone. Europa, Nordamerika und Ozeanien bilden die zweite Zwischenzone.“11 Der Versuch ist, gewisse Länder des imperialistischen Lagers gegeneinander auszuspielen oder zumindest dazu zu bewegen, sich vom US-Imperialismus zu lösen. Dieses Vorgehen ist keine Erfindung Mao Tsetungs, ähnlich war es, als die Sowjetunion Stalins Argentinien unter Juan Peron half, einen eigenständigeren Kurs zu fahren, als Land der nationalen Bourgeoisie12. Ähnlich sind unter anderem die Bestrebungen der Unterstützung Nasser-Ägyptens durch die sozialistischen Länder zu sehen, auch wenn die Theorie des „nichtkapitalistischen Entwicklungswegs“ Humbug ist, praktisch impliziert, dass die nationale Bourgeoisie sozialistisch sei. Das mag deren Behauptung gewesen sein, wie beim „arabischen Sozialismus“ von Nasser, aber dem Wesen nach handelte es sich bloß um Sozialdemokratie, um Rückhalt in der Bevölkerung zu erhaschen. Eine Schwächung des US-Imperialismus erleichtert die Kämpfe um den Sozialismus weltweit, denn der amerikanische Imperialismus hat ein Übergewicht unter den imperialistischen Mächten, ist dominant. Somit ist er der Hauptfeind. „Der amerikanische Imperialismus ist der größte Imperialismus.“13 – Diese Feststellung Maos im April 1961 war damals richtig und bleibt solange richtig, bis eine andere imperialistische Weltmacht den US-Imperialismus überholen wird, also entweder Russland oder China. Bis es so weit ist, bleibt der US-Imperialismus der Hauptfeind.

Die Zwei-Lager-Theorie ist prinzipiell richtig mit der Einteilung der Länder nach Klassenherrschaft. Aber damit wird die Frage konkurrierender imperialistischer Blöcke oder auch die Teilung der sozialistischen Länder nach den frühen 60er Jahren in revisionistische und antirevisionistische Länder nicht erfasst. Richtiger wäre folglich eine Art „Zweieinhalb-Lager-Theorie“, denn damit würde man auf der einen Seite berücksichtigen, dass es innerhalb dieser Lager Widersprüche geben kann, zwischen verschiedenen imperialistischen Blöcken sowie zwischen revisionistischen und antirevisionistischen Ländern im sozialistischen Lager. Auf der anderen Seite würde man auch nicht in das Drei-Welten-Schema verfallen, wonach es eine strikte Dreiteilung geben würde, bei der fragwürdig ist, was die dritte Komponente, egal welcher Nummerierung, eigentlich dem Wesen nach ausmacht. Oft wurde es mit den Blockfreien gleichgesetzt, aber auch diese unterschieden sich praktisch und waren oftmals gar nicht so „blockfrei“, wie behauptet. Genauso wenig homogen sind die „Entwicklungsländer“, wie die Kolonien heute genannt werden. Vor zwei Jahren gab ich dazu bereits eine Einschätzung14. Auch wenn es dort nicht ausgesprochen wird, ist der Kern davon eine Art „Zweieinhalb-Lager-Theorie“, weil die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten keine prinzipiellen Widersprüche sind, sondern lediglich dadurch antagonistisch, dass sie danach streben nach außen hin zu expandieren auf Kosten der anderen Mächte und ihrer Kapitalisten. Aus dem Grund arbeiten die imperialistischen Weltmächte Russland und China zusammen gegen den US-Imperialismus. Diese Verhältnisse können sich ändern, wie auch Kolonien und Semikolonien die Einflusssphäre wechseln können. Die USA, Russland und China haben keine prinzipiellen Systemwidersprüche, es geht bloß um Marktanteile. Russland und China, sowie deren kolonialer Anhang sind nicht grundsätzlich progressiv, es ist lediglich ihre Rivalität zum US-Imperialismus, die man außenpolitisch nutzen kann. Innenpolitisch sind die Unterschiede innerhalb dieser Länder sekundär, die Gemeinsamkeiten primär, aufgrund der gleichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Bei der Zwei-Lager-Theorie mag es sich der Form nach um eine historische Frage handeln, aber inhaltlich wirkt sie bis heute nach, besonders aufgrund der Analogien von den 50er Jahren auf die heutige Zeit. Deshalb ist es wichtig, die Mängel dieses Schemas aufzuzeigen, sowie die veränderte Situation heute. Unsere außenpolitischen Prinzipien müssen darauf basieren.

2http://ciml.250x.com/archive/maoismus/shdanow_mao.html Ich habe den Artikel nicht mal gelesen, denn alleine die Darbietungsform ist eine Zumutung, eine Simulation eines LSD-Trips oder eines epileptischen Anfalls. Ich bin darauf gestoßen, als ich nach dem Text von Shdanows Rede vom September 1947 gesucht habe. Da die Komintern (SH) Shdanow als „Revisionisten“ einstuft, wie praktisch alles und jeden auf der Welt, kann man bereits erahnen, was das für eine Verleumdungstirade ist.

4Vgl. Ebenda.

5Siehe: G. Malenkow „Rechenschaftsbericht an den XIX. Parteitag über die Tätigkeit des Zentralkomitees der KPdSU(B)“ (5. Oktober 1952), Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1952, S. 6.

7Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ (Februar – September 1952) In: J. W. Stalin „Werke“, Bd. 15, Verlag Roter Morgen, Dortmund 1979, S. 325.

8Bertolt Brecht „Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 41/42.

9Der zweite imperialistische Krieg“ (14. September 1939) In: „Selected Works of Mao Zedong“, Vol. VI, Foreign Languages Press, Paris 2020, S. 237, Englisch.

10Vgl. „Die Interessen der Sowjetunion fallen mit den Interessen der gesamten Menschheit zusammen“ (28. September 1939) In: Mao Tse-tung „Ausgewählte Werke“, Bd. II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S. 319 ff.

11Gespräch während eines Zusammentreffens mit Persönlichkeiten der Sozialistischen Partei Japans“ (10. Juli 1964) In: Mao Zedong „Texte“, Bd. V, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1982, S. 317.

12http://grachev62.narod.ru/stalin/t18/t18_264.htm (Russisch) Das kann man zum Beispiel in diesem Gespräch von Stalin mit dem argentinischen Botschafter in Moskau, Leopoldo Bravo, nachvollziehen, das am 7. Februar 1953 stattfand.

13Gespräch mit einer kubanischen Kulturdelegation“ (19. April 1961) In: Mao Zedong „Texte“, Bd. V, Carl Hanser Verlag, München/Wien 1982, S. 32.

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