Alevitentum

Liebe Leser, im Folgenden ein Artikel des Genossen Elendil über das Alevitentum:

In Zeiten, in denen der Islamismus in Deutschland und Europa immer stärker wird und die Radikalisierung der jugendlichen Migranten aus muslimischen Familien immer schlimmer wird, ist es mir wichtig, den Blick auf eine, sag ich mal, alternative und progressive Strömung zu werfen. Als Alevit und Kommunist sehe ich mich in der Verantwortung, einen Beitrag zu leisten, um den Diskurs um den Islam zu erweitern und einen guten Kampf gegen den Islamismus zu zeigen.

Das Alevitentum, eine oft unterdrückte und marginalisierte Strömung des Islams, besonders in der islamischen Welt, bietet eine Art Ausweg, einen Zugang zu einer humanistischen, liberalen und fortschrittlichen Interpretation des Glaubens. Es ist eine Tradition, die die Werte der Toleranz, des gegenseitigen Respekts und der Gleichberechtigung hochhält – Werte, die in der Islamisierung Deutschlands und Europas sehr wichtig sind. Deswegen möchte ich in diesem Artikel aufzeigen, wie das Alevitentum in Deutschland und Europa einen wichtigen Gegenwurf und Kampf gegen den wachsenden Islamismus leisten kann und wie das Alevitentum als der Islam akzeptiert werden kann.

Das Alevitentum ist eine Strömung, die ihren Ursprung im anatolischen Raum hat, besonders im Osten der heutigen Türkei. Das Alevitentum zeichnet sich durch seine Toleranz gegenüber anderen Religionen und Menschen aus. Es legt mehr Wert auf spirituelle Wege und Methoden, Nächstenliebe, Bescheidenheit, Geduld, Humanismus und Universalismus. Die meisten sunnitischen, koranischen Lehren werden von den Aleviten nicht anerkannt oder akzeptiert. Die spirituellen Lehren sind stark beeinflusst von Imam Ali und seiner Familie, besonders durch seine Nachfahren, die als die zwölf Imame bezeichnet werden. Imam Ali war der Vetter und später der Schwiegersohn des Propheten Mohammeds. Im Vergleich zu den anderen dogmatischen Ausrichtungen des Islams basiert der alevitische Glaube auf einem tiefen Respekt vor der Vielfalt der Menschen und der Natur. Der Glaube sieht Gott nicht als eine Macht, die gefürchtet werden muss, sondern als Quelle der Liebe, die durch ethisches Handeln und gelebte Menschlichkeit geehrt wird. Aleviten betonen den inneren spirituellen Weg, der auf Selbstreflexion, Mitgefühl und der Suche nach der inneren und äußeren Wahrheit basiert.

Man darf auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alevitentum nicht vergessen. Im Alevitentum gibt es keine Trennung zwischen Männern und Frauen in religiösen Belangen, beide Geschlechter sind gleichwertig – was ein großer Unterschied zu den patriarchalen Strukturen der anderen islamischen Strömungen ist. Alevitische Frauen haben keine Pflicht zum Kopftuch und tragen es auch nicht. Aleviten beten auch nicht in der Moschee, sondern eher in Cem-Evleri (Cem-Häusern), die als Versammlungshäuser dienen. Die fünf Gebete zählen bei den Aleviten nicht, ebenso wie verschiedene Säulen des Islams. Ein weiteres zentrales Element des Alevitentums ist die Toleranz gegenüber anderen Religionen, Kulturen und Lebensweisen. Das Prinzip „Yol bir, sürek binbir“ (Der Weg ist eins, doch die Pfade sind tausendundeins) drückt diese Offenheit gegenüber den verschiedenen Wegen aus, die Menschen zu Gott und spiritueller Erfüllung führen können. Diese Toleranz ist nicht nur eine theologische oder theoretische Haltung, sie wird auch von den alevitischen Gemeinden gelebt. Soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und interkultureller Dialog sind sehr wichtig, weshalb die meisten alevitischen Familien in Europa und der Türkei überwiegend demokratisch und links eingestellt sind. Die Religion beeinflusst ihr Denken sowie ihre ökonomischen und politischen Ansichten. Es gibt auch keine Verurteilung von Menschen, die homosexuell sind. Das Alevitentum lehrt, den Nächsten zu lieben, da der spirituelle Weg im Fokus steht und die Akzeptanz der verschiedenen menschlichen Ansichten im Vordergrund steht.

Nun kann man sich fragen, warum das Alevitentum so tolerant ist und sich von den islamistischen Strömungen unterscheidet. Das Alevitentum entstand im 12. Jahrhundert in Anatolien, der heutigen Türkei, und wurde schon damals stark von den sozialen und politischen Umbrüchen jener Zeit beeinflusst. Zu dieser Zeit waren viele verschiedene Kulturen, Völker und Religionsgruppen immer im Konflikt miteinander, was zu Spannungen und Gewalt führte. In dieser Zeit wuchs das Alevitentum als eine Antwort auf die Notwendigkeit von Toleranz und Kooperation unter den verschiedenen Völkern, Kulturen und Religionen. Hacı Bektaş Veli ist eng mit der Entstehung des Alevitentums verbunden und legte die Grundlage für den spirituellen Weg und die ethischen Lehren des Alevitentums. Er lehnte dogmatische Ausrichtungen ab und betonte den inneren Weg zu Gott sowie das Streben nach einer spirituellen Gemeinschaft, die keine kulturellen oder religiösen Unterschiede kennt. Das Alevitentum wurde deshalb damals und bis heute verfolgt und unterdrückt. Erst unter Atatürk wurden die Unterdrückungen leichter, aber es wächst wieder in der heutigen Türkei. Denn das Alevitentum bleibt eine Gefahr für die dogmatischen Lehren des Islamismus. Es zeigt einen Weg für Muslime, sich weiterzubilden, eine andere Sicht auf die Welt zu haben, eine nicht-reaktionäre Weltsicht zu entwickeln und ein gutes Modell für Muslime in einem sozialistischen Deutschland zu bieten. Für uns Aleviten ist das Alevitentum nicht nur eine Religion, sondern eine Lebenshaltung, eine Lebensphilosophie. Ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel etwas vom Alevitentum vermitteln und ein gutes Bild davon zeigen. Danke!

Zitate:
„Gerechtigkeit ist das Fundament der menschlichen Gesellschaft.“
„Wo es keine Gerechtigkeit gibt, kann es keinen wahren Frieden geben.“
„Wer sich selbst erkennt, hat seinen Herrn erkannt.“
„Menschen sind entweder Brüder im Glauben oder gleich im Menschsein.“
„Wissen hebt die Niedrigen, Unwissenheit stürzt die Hohen.“
„Geduld ist der Schlüssel zur Erleichterung.“
„Der Mensch ist der Mittelpunkt des Universums, und er sollte das Leben in Frieden, mit Respekt und Liebe zu allen Lebewesen führen.“
„Die wahre Religion ist die, die das Herz erleuchtet und den Menschen zur Liebe und Toleranz führt.“
„Liebe ist die Grundlage des Universums. Wer liebt, liebt auch Gott.“
„Ein Mensch, der seinen Nächsten liebt, ist der wahre Diener Gottes.“
„Der wahre Alevit ist der, der mit seinem Verhalten die Menschen zur Liebe und zum Frieden führt.“

Das sind einige Zitate im Alevitentum, die von Imam Ali, Hacı Bektaş Veli und Pir Sultan Abdal stammen. Die alevitischen Weisheiten, Sprichwörter und Zitate werden mündlich überliefert. Es sind Weisheiten, die Aleviten schon als Kinder von ihren Eltern und Großeltern mit auf den Weg bekommen. Wir haben keine dogmatischen Religionsbücher, und die meisten Aleviten erkennen den Koran nicht einmal an.

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